Unsichere Bindungsstile
Bindungsstile und die Qualität unserer Beziehungen
Deine allerersten Bindungen – zu den Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen – haben einen Einfluß darauf, welches Bild von Liebe und Beziehung du verinnerlichst. Das heißt, die Qualität dieser frühen zwischenmenschlichen Interaktionen bestimmt, wie du dich später als erwachsener Mensch in Beziehungen fühlst und wie du dich verhalten wirst – welchen Bindungsstil du entwickelst.
Die Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth (neben John Bowlby) hat sich vor ein paar Jahrzehnten intensiv damit beschäftigt, wie die kindliche Prägung unsere Bindungsfähigkeit beeinflusst. Sie brachte Kinder mit ihren Müttern in ungewohnte Situationen und dokumentierte die unterschiedlichen Verhaltens- und Reaktionsweisen, die die individuelle Art der Bindung des Kindes zur Mutter widerspiegelten.
Wenn deine Prägungsphase nicht so optimal verlaufen ist, dann sind deine intimen Beziehungen vielleicht Konflikt beladen. Dann inszenierst du vielleicht unbewußt die Art der Beziehung, die du zu deinen Eltern hattest im unbewussten Versuch, deine kindliche Beziehung zu deinen Eltern zu heilen in Liebesbeziehungen immer wieder neu und kämpfst um die Erfüllung der dir damals verwehrten, unerfüllt gebliebenen Bedürfnisse, ohne es zu erkennen. Romantische Beziehungen sind ein Spiegel dessen, wie du dich als Kind von deinen Eltern angenommen, gesehen und geliebt gefühlt hast. Sie spiegeln, welches Grundkonzept von Liebe du verinnerlicht hast. Das, was dir vorgelebt wurde formt deinen individuellen Bindungsstil.
Wenn du aufgrund von Erfahrungen in den formativen Jahren Liebe unbewußt mit Schmerz und unangenehmen Emotionen verbindest, dann wirst du immer wieder Partner in dein Leben ziehen, die dir diese stillschweigende Überzeugung bestätigen. Oder du wirst den Impuls verspüren Dinge tun, die deine Beziehungen untergraben und sabotieren.
Deine intimen Beziehungen sind ein Spiegel des Grads deines Vertrauens in die Welt, in dich selbst und in andere Menschen.
Ein unsicherer Bindungsstil macht in intimen Beziehungen letztlich nur 3Zustände möglich.
Es gibt 3unsichere Bindungsstile und eine Vielzahl von Mischformen. Sie sind von der individuellen Situation des Kindes in der Ursprungsfamilie und seiner Veranlagung abhängig. Zur Zeit gibt es Vorschläge einen weiteren unsicheren Bindungsstil zu definieren (Flacher Bindungsstil / Prof. Sam Vaknin). Er beschreibt das oberflächliche Bindungsvermögen von Menschen mit einem nicht existenten wahren Selbst, wie es beim pathologischen Narzissten der Fall ist.
Aber alle Kategorisierungen sind natürlich nur Hilfsmittel, um die Hintergründe und Dynamiken besser zu verstehen, was für die ersten Schritte im Heilungsprozess sehr hilfreich ist.
Wenn du dich in deinen Beziehungen grundsätzlich wohl fühlst, wenn du sowohl Freiraum als auch Nähe zulassen und geniessen kannst und weisst, dass du um deiner selbst Willen geliebt wirst, dann kannst du dich glücklich schätzen. Dann hast du die Grundvoraussetzung für ein erfülltes Leben und langfristige körperliche und seelische Gesundheit. Ungesunde Beziehungen machen mental, emotional und körperlich krank. Bei Menschen mit unsicheren Bindungsstilen wird der Stress, der dadurch entsteht zum permanenten Energieräuber.
Traumatische Erlebnisse in der Kindheit führen zur Dissoziation (Verdrängung, Abspaltung) bestimmter Persönlichkeitsanteile. In einem dissoziativen Zustand sind Wahrnehmung, Denken, Handeln und Fühlen voneinander getrennt und nicht mehr kohärent. Je stärker die Ausprägung dieser dissoziativen Zustände, desto problematischer gestalten sich die Beziehungen Betroffener zu anderen Menschen und desto schwieriger auch die Therapie.
Unsichere Bindungsstile bewegen sich auf einer Skala und an den äußeren Enden finden wir Zustände, die in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten der WHO gelistet sind.
Bis vor kurzem war das Konzept der Persönlichkeitsstörung allgemein anerkannt (Klassifikation von Krankheiten der WHO nach ICD-10 ). Davon hat man sich mit der 11. Revision (ICD-11), die im Januar 2022 in Kraft getreten ist jedoch verabschiedet. Der Grund ist, dass diese psychischen Phänomene zwischenmenschlicher Art sind: Sie zeigen sich ausschließlich im Beziehungskontext. Außerdem erkennt man inzwischen den chronisch posttraumatischen Charakter dieser Störungen an. Favorisiert wird nun ein Achsenmodell, in dem man EINE Störung und ihre unterschiedlichen Merkmale beschreibt („Als-ob“-Persönlichkeit).
Alte Listung der Persönlichkeitsstörungen (Klassifikation nach ICD-10)
Achtung: Menschen mit Symptomen der bisher unter Cluster A , B und C gelisteten psychischen Störungen zeigen ausgeprägt unsichere Bindungsmuster, aber nicht jeder Mensch mit unsicheren Bindungsmustern hat eine pathologische psychische Erkrankung.
Cluster A (Kennzeichen Affektarmut/Gefühlskälte/Isolation) : „flacher Bindungsstil“ bzw. Bindungsstil abweisend vermeidend
Cluster B (Kennzeichen Ambivalenz/Impulsivität/idealisierendes bzw. abwertendes Verhalten) : „flacher Bindungsstil“ bzw. Bindungsstil ängstlich vermeidend
Cluster C (Kennzeichen Trennungsangst/Gewissenhaftigkeit/hilfloses abhängiges Verhalten) : Bindungsstil ängstlich überinvolviert
Wenn du bis hier her gelesen hast, dann wirst du deine Beziehungen wahrscheinlich als problematisch erleben, aber du kannst das ändern. Es braucht nur eine gewisse Offenheit, den Willen dich selbst zu reflektieren, Mut zur Veränderung und ein bißchen Disziplin.
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Die drei unsicheren Bindungsstile
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