Co-Abhängigkeit und Verstrickung
Co-Abhängigkeit und Verstrickung gehen miteinander Hand in Hand. Besonders ausgeprägt sind sie beim ängstlich vermeidenden und ängstlich überinvolvierten Bindungstyp. Aber alle unsicheren Bindungstypen sind bis zu einem gewissen Grad betroffen.
Als Verstrickung bezeichnet man die ungesunde emotionale Abhängigkeit von anderen Menschen. Sie entsteht durch fehlende oder mangelhafte Grenzsetzung in einer Paarbeziehung oder im Familienverband. Verstrickung führt zum Verlust oder zumindest zur Einschränkung der Selbstidentität. Aber ohne ein klares Selbstgefühl können wir keine stabilen, glücklichen Beziehungen führen.
Co-abhängiges Verhalten entspringt einem inneren empfundenen Mangel, dem Glaube auf irgendeine Weise nicht zu genügen. Dieser unbewusste Glaube treibt Betroffene dazu über die Maßen zu geben. Unausgesprochen tun sie es aber, um etwas zu bekommen. Die Angst vorm alleinsein erlaubt es ihnen nicht, eine dysfunktionale Beziehung zu beenden, eine Beziehung in der sie oft so behandelt werden, wie sie mit sich selbst umgehen. Es fühlt sich für sie vertraut und richtig an, um Liebe kämpfen zu müssen. Die Liebe, der Respekt und die Fürsorge, die ein coabhängiger Mensch seinem Partner entgegen bringt hat also unbewußt eine eigennützige Agenda.
Co-Abhängigkeit und Verstrickung – Ursprung
Co-Abhängigkeit und Verstrickung haben ihren Ursprung in den ersten Lebensjahren eines Menschen. In der Herkunftsfamilie coabhängiger Menschen gab es in der Regel einen emotionalen Manipulator. Das heisst, es gab zumindest einen Elternteil, der das Kind zur emotionalen Stabilisierung und Befriedigung eigener Bedürfnisse benutzt hat. Dieser Erwachsene sah sein Kind als Verlängerung von sich selbst. Er konnte sein Kind nicht bedingungslos lieben. Es hatte (oft unausgesprochene) Erwartungen zu erfüllen. Liebe und Anerkennung bekam das Kind, wenn es diesen Erwartungen gerecht wurde. Und so musste es lernen sich anzupassen, um keine negativen Gefühle bei diesem Elternteil auszulösen. Die Lernerfahrung dieses Kindes ist , dass es Liebe nur dann bekommt, wenn es andere Menschen glücklich macht.
Menschen mit dieser Prägung werden Experten im Lesen der Bedürfnisse anderer. Der Preis, den sie zahlen ist die Unterdrückung der eigenen Wünsche und Sehnsüchte. Chronische Schuldgefühle machen sie zu reflexartigen Aufopferern für andere. Wenn ein Partner ihnen nur dann zugewandt ist, wenn sie sich an seine Erwartungen halten, dann ist das für sie normal. Sie gehen oft sogar so weit Menschen, die sich missbräuchlich verhalten zu verteidigen und zu beschützen, um ihrer Angst vor dem verlassen zu werden nicht ins Auge sehen zu müssen. Sie verzerren die Bedeutung von Werten, wie Loyalität und Hingabe, um aus dem kalten, abweisenden oder ambivalenten Verhalten eines Partners keine Konsequenzen ziehen zu müssen.
Wenn ein Kleinkind in seiner Famile Verstrickungsmustern ausgesetzt ist, dann ist das traumatisierend, weil es unter diesen Umständen seine Emotionen nicht offen ausdrücken, geschweige denn gesund verarbeiten kann. Besonders dramatische Auswirkungen haben Situationen, in denen das Kind erlebt, dass es einem Elternteil, der Verstrickungsmuster lebt durch die Anpassung seines Verhaltens keine Erleichterung bringen kann, weil es emotional von ihm abhängig ist.
Wenn Eltern ihr Kind unbewusst als emotionale und/oder physische Stütze benutzen und ihm auf subtile Weise suggerieren, dass es bestimmte Erwartungen zu erfüllen hat und für die Gefühle der Erwachsenen Verantwortung trägt, dann wird damit die Grundlage für den Glaubenssatz: „Ich bin verantwortlich für deine Gefühle so wie du für meine verantwortlich bist.“ gelegt. Jede Form von Verstrickung basiert auf dieser inneren Überzeugung. Dieser Glaubenssatz hat – wenn ungelöst – negative Auswirkungen auf alle Beziehungen, die das Kind später als Erwachsener eingehen wird.
Verstrickungsmuster sind für Familien mit einem narzisstischen, einem depressiven, einem emotional nicht erreichbaren und/oder einem co-abhängigen Elternteil typisch.
Kombinationen sind dabei die Regel. Kinder entwickeln in solchen Familienverbänden chronische Schuld- und Schamgefühle, weil sie den Erwartungen der Eltern oft nicht gerecht werden können. Diese Kinder glauben die Verursacher des Schmerzes ihrer Eltern zu sein. Eltern mit diesen Persönlichkeitsmerkmalen neigen auch dazu, Fehlverhalten mit emotionalem Rückzug zu bestrafen. Auf diese Weise lernt ein Mensch, dass passiv aggressives Verhalten eine normale und akzeptable Form der Kommunikation ist.
Verstrickung ist ein weit verbreitetes Phänomen. Wenn du selbst in einem verstrickten Familienverband aufgewachsen bist kann es sein, dass sich beim Lesen Widerstand regt. Du denkst vielleicht: “Natürlich bin ich für die Gefühle anderer verantwortlich.” Aber oft tun oder sagen wir Dinge, die Glaubensmuster oder Programme unseres Gegenübers aktivieren (triggern). Was wir sagen oder tun ist dann ein Katalysator für heftige Reaktionen, die aber nur durch die Art der Interpretation des Geschehens entstehen. Wir können die Gefühle eines anderen Menschen nicht willentlich durch unser Handeln beeinflussen.
Der Glaube emotional von anderen Menschen abhängig zu sein und umgekehrt erzeugt Hilflosigkeit, Schuld, Scham, Enge und Überforderung. Und Glaubenssatz der gegenseitigen Verantwortlichkeit hindert uns daran, gesunde Grenzen zu setzen. Sie verwischen sich mit denen des Gegenübers. Beispiele zum Verständnis:
Beispiel1: Ein Kind kommt von der Schule nach Hause und tut etwas, was die alkoholkranke Mutter, die sich gerade im Entzug befindet verärgert. Darauf hin öffnet sie sich eine Flasche Bier und beginnt wieder zu trinken. Sie macht dem Kind am nächsten Tag Vorwürfe. Es fühlt sich verantwortlich, schuldig und hilflos. Realistisch betrachtet wird von ihm etwas Unmögliches verlangt, nämlich Perfektion. Solche Verhaltensmuster (Projektion eigener Schwächen auf das Kind) führen in einen tiefen Morast ungesunder Verwicklungen.
Beispiel2: Eine depressive Mutter ist sehr Angst besetzt und zeigt auf die Handlung ihres Kindes oft eine der Situation unangepasst heftige Reaktion, weil das Verhalten des Kindes ihre eigenen Wunden triggert. Sie schreit das Kind oft an und hält dabei dem Kindes die Folgen seines Verhaltens vor. Das können Aussagen, wie „Ich werde heute also wieder nicht schlafen können.” oder ” Ich verliere schon meine Haare. Du machst mich krank.“ sein.
Der unbewusste Glaubenssatz „Ich bin für deine Gefühle verantwortlich und du für meine.“ ist immer noch in vielen Menschen aktiv. Vielleicht kommen auch dir Gedanken, wie: „Aber es ist doch wahr – wenn ich etwas Falsches tue oder sage, dann kann ich damit jemanden verletzen.“
Doch wenn wir das Ganze weit genug herunter brechen erkennen wir: Wir verletzen lediglich die Erwartungen des Gegenübers, wie die Dinge für ihn sein sollten.
Natürlich wollen wir uns bemühen, liebevoll und achtsam mit anderen Menschen umzugehen. Und wir wollen ihre Grenzen respektieren. Das ist gesund und richtig. Ungesund wird es, wenn wir den Anspruch entwickeln, im Umgang mit anderen in ihnen keine negativen Empfindungen auszulösen. Dann streben wir nach etwas unmöglichem. Wenn wir alle potenziell negative Emotionen auslösende Situationen vermeiden, dann müssen wir unsere eigenen Intentionen, Gefühle und Bedürfnisse aufgeben. Dann erlauben wir dysfunktionale Verstrickungsmuster. Sie ebnen den Boden für inneren Groll und führen zur Entfremdung von uns selbst und zur Entfremdung von den Menschen, die uns wichtig sind.
Die Verarbeitung unserer Gefühle liegt in erster Linie in unserer eigenen Verantwortung.
Eine Illustration dazu:
Wenn ein anderer Mensch behaupten würde, dass du ein grünes Monster bist, würdest du der Aussage keine Bedeutung schenken. Du würdest darüber lachen, aber diese Behauptung würde in dir keine heftigen Gefühle erzeugen, weil du weißt, dass es nicht der Wahrheit entspricht. Wenn du aber in der Kindheit aufgrund eines körperlichen Merkmals gehänselt wurdest und ein Mensch würde zu dir sagen: „Oh, du siehst heute aber schlecht aus.“, dann könnte das eine heftige Reaktion auslösen, weil damit deine alte Wunde berührt wurde.
Wenn du im Innersten glaubst nicht zu genügen, dann löst das Verhalten anderer Menschen in Situationen, die dich unbewusst daran erinnern, starke der aktuellen Situation unangemessene Gefühle aus. Deine schlummernde Verletzung wurde aktiviert. Wenn du dann die äußeren Umstände für deine Emotionen verantwortlich machst, dann bringt dich das in die Position des machtlosen Opfers. Sie entspricht nicht der Realität. Du hast die Wahl, wie du auf Situationen im Außen reagierst, wenn du die Zusammenhänge erkennst und Verantwortung für deine Gefühle übernimmst.
Wenn wir andere für unsere Gefühle verantwortlich machen und von ihnen erwarten, dass sie unsere unausgesprochenen Bedürfnisse erfüllen geben wir die Macht darüber, wie wir uns fühlen an sie ab. Unfaire, schädliche Interaktionen, wie passive Aggression, Schuldzuweisungen, Sarkasmus oder emotionaler Rückzug sind die Folge, denn wir neigen dann dazu, aus den Verhaltensweisen anderer im Stillen irreale Schlussfolgerungen zu ziehen.
Wenn du dich mit anderen verbunden fühlen willst, dann ist Transparenz wichtig. Dann mußt du dazu in der Lage sein deine Bedürfnisse klar zu kommunizieren, ohne davon abhängig zu sein, dass das Gegenüber sie dir erfüllt.
Co-Abhängigkeit und Verstrickung – Merkmale
Gefallen wollen / Verlust der Selbstidentität / Schlechter Selbstwert / Bedürfnis gebraucht zu werden / innerer Groll / unbewusste Erwartungen / Angst andere zu enttäuschen / Schamgefühle / Furcht vor Ablehnung / Ängste / Depressionen / Ausgelaugt sein / unausgesprochene Annahmen
Mache den Test, welche Formen von Co-Abhängigkeit du evtl. zeigst: Co-Abhängigkeit erkennen
Co-Abhängigkeit und Verstrickung – Lösungen
Entwickle ein gutes Selbstgefühl. Etabliere gesunde Morgenrituale und Gewohnheiten. Stelle dir Fragen zur Selbstfürsorge: Was brauche ich gerade, um mich gut zu fühlen? Was fühle ich in diesem Moment? Wie kann ich am besten mit diesen Gefühlen umgehen? Was sind meine Interessen? Wie kann ich sie pflegen? (Pläne/Umsetzung)
Beachte die 6menschlichen Grundbedürfnisse. Bringe sie einmal für dich in eine Hierarchie (Liebe & Verbindung, Sicherheit, Abwechslung, Bedeutung, Wachstum, einen Beitrag für andere leisten). Schreibe hinter jedes dieser Bedürfnisse 3Wege, wie du sie dir erfüllen kannst.
(Meine Beobachtung: Bei unsicheren Bindungstypen steht das Bedürfnis nach Bedeutung und nach Liebe & Verbindung in der Hierarchie in der Regel ganz vorn. Oft ändert sich das im Heilungsprozeß. Das liegt daran, dass sich Prioritäten, Vorlieben und Neigungen und der wahre Wesenskern eines Menschen dann erst herauskristallisieren. Traumatisierte Menschen brauchen dagenen die wiederholte Bestätigung von anderen Menschen, dass sie okay und liebenswert sind, denn sie haben verinnerlicht nicht zu genügen.
Lerne wieder zu fühlen. Frage dich öfter was du gerade fühlst. Beginne mit Basis-Emotionen (fröhlich, traurig, angespannt, ängstlich etc). Frage dich was du gerade brauchst, damit du dich wohler fühlen kannst. Gib dir das, was du gerade brauchst.
Finde heraus in welchen der 7Lebensbereiche Defizite bestehen. Schaue dir die 7Lebensbereiche (Beruf, Finanzen, Beziehungen, Emotionalität, Intellekt, Körperliche Gesundheit, Spiritualität) genauer an. Wo gibt es Defizite? Wie sehen sie aus? Warum bestehen sie? Wie kannst du das ändern?
Wenn du aus dem Mangel heraus gibst hat das toxische Auswirkungen auf deine Beziehungen. Denn du wirst dir deine Bedürfnisse auf manipulative Art erfüllen müssen. Wenn du Verstrickungsmuster an dir erkennst geht es zuerst darum, dich selbst wieder zu finden. Du kannst lernen, dich nicht mehr mit den alten Glaubens- und Gedankenmustern zu identifizieren. Das wird nicht nur in deinen intimen Beziehungen, sondern in allen Lebensbereichen erstaunliche Veränderungen bewirken.
Das Buch ist auch im tredition SHOP erhältlich (lieferbar)