Trauma – Verdrängung – Symptome
Viele Menschen sind der festen Überzeugung, dass sie eine normale Kindheit hatten. Traumata schließen sie jedenfalls aus. Ihre Einschätzungen klingen dann oft in etwa so:
„Es gab gutes und schlechtes, aber das ist ja normal.“ / „Meine Mutter war zwar oft traurig oder verärgert, aber sie hat mich nur dann abgewiesen, wenn ich sie enttäuscht habe.“ / „Ich war Papas Liebling. Mama war manchmal sogar ein bisschen neidisch. Er war immer für mich da. Mir hat es an nichts gefehlt.“ / „Meine Mutter war eine starke Frau. Sie war sehr konsequent. Das tat zwar manchmal weh, aber sie hat mich gelehrt, was gut und richtig für mich ist.“ / „Mein Vater hat mich hin und wieder mit dem Gürtel geschlagen, aber es war zu meinem Besten. Es hat mir geholfen ein besserer Mensch zu werden. Ich bin dankbar dafür.“ / „Manchmal fühle ich mich einsam und leer. Aber das geht ja vielen Leuten so. Meine Eltern waren zwar streng, aber sie haben mich geliebt. Schließlich ist aus mir ja was geworden.“
Die Verharmlosung elterlicher Verhaltensweisen hat Gründe, aber zuerst betrachten wir, welche Symptome man an traumatisierten Menschen beobachten kann:
Inhaltsübersicht
Trauma – Symptome
Nicht das Geschehen selbst macht ein Erlebnis zum Trauma. Es ist die individuelle Reaktion des Kindes darauf, gekoppelt mit dem fehlenden Beistand einer Bezugsperson und damit der fehlenden Verarbeitungsmöglichkeit. Besonders typische Trauma induzierte Symptome sind:
Angst vor Nähe / heftige Reaktionen auf Verlust oder Trennung / Perfektionismus / Gefühle von Frustration, Resignation, Angst oder Aggression / übermäßige Eifersucht / Aufopferung und Vernachlässigung eigener Bedürfnisse / nicht Nein sagen können / negatives Selbstbild (Schamgefühle) / eingeschränkte Energie und Lebensfreude
Trauma – “Normalität”
Es gibt leider immer noch erzieherische Maßnahmen, Zustände und Umgangsweisen, die beim Kind langfristig Schaden machen, landläufig aber für normal gehalten werden:
Vom Kind wird erwartet, dass es familiäre Probleme leugnet oder ignoriert / Eltern benutzen das „silent treatment“ als Erziehungsmaßnahme / Das Kind wird für bestimmte Gefühle belächelt, sie werden heruntergespielt oder bestraft / Das Kind wird für eine Eigenart beschämt / Eltern setzen eigene Bedürfnisse unproportional oft über die des Kindes / Im Elternhaus gibt es kein Lachen, keine Freude, kein Spiel, keinen Spaß / Emotionales Gaslighting „Weine nicht!“ ist an der Tagesordnung / Eltern ignorieren seelische Nöte und zeigen kein Interesse an der inneren Welt des Kindes / Eltern entwerten die Wahrnehmung des Kindes: Ein überwältigendes Ereignis ist „no big deal“ / Das Kind darf die Suchterkrankung eines Elternteils nicht thematisieren / Das Kind muss sich Aufmerksamkeit verdienen / Das Kind wird nicht ermutigt und unterstützt / Ein Elternteil hat starke Gemütsschwankungen und lässt sie am Partner oder am Kind aus / Das Kind wird für ein äußeres Merkmal beschämt oder für sein Aussehen kritisiert / Das Kind wächst in einem verstrickten Familiensystem auf: Es herrscht die stillschweigende Übereinkunft Verantwortung für die Gefühle anderer zu tragen / Das Kind wird parentifiziert: Es muss einen Elternteil trösten, unterstützen oder verteidigen / Dem Kind wird keine Grenzsetzung gestattet und vorgelebt / Das Kind wird nicht dazu ermutigt Grenzen zu setzen und zu wahren / Tiefere Gespräche und Gefühle werden vermieden / Die innere Welt und Einzigartigkeit des Kindes wird abgewertet: Etwas, was es mag, ist „dumm“ oder „Zeitverschwendung“/ Das Kind wird für Fehler belächelt oder beschämt.
Entwicklungstraumata sind bei weitem keine Seltenheit. Ganz oft sind es die Dinge, die nicht stattgefunden haben, die Traumaspuren hinterlassen. Häufige traumatisch bedingte Glaubensmuster sind:
“Ich gehöre nicht dazu.” / “Ich darf keine Bedürfnisse haben.” / “Wenn ich vertraue werde ich enttäuscht.” / “Wenn ich so bin, wie ich bin werde ich abgelehnt.” / “Ich muß Leistung bringen um geliebt zu werden.” / “Ich bin so wie ich bin nicht liebenswert.” / “Ich bin so wie ich bin nicht richtig.”
Diese Glaubensmuster führen dazu, dass Betroffene nicht zu sich selbst stehen, sich permanent anstrengen und überfordern und ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle entwickeln. Sie machen es Betroffenen unmöglich authentisch zu sein.
Traumatisierte Menschen setzen sich selbst unter Druck. Sie sind emotional leicht verletzbar.
Frühkindliche nicht verarbeitete Erlebnisse lassen uns die Welt durch eine Brille sehen. Aber mehr noch: Sie setzen uns Scheuklappen auf. Denn nicht nur unsere Selbstwahrnehmung, sondern auch die Wahrnehmung, wie andere uns sehen und unser Verhältnis zu ihnen wird verzerrt. Wir tendieren dann dazu positive Erfahrungen zu auszublenden und zu übersehen, weil sie unseren unbewussten Glaubensmustern widersprechen.
Aber warum sehen Betroffene ihre Entwicklungstraumata selbst oft nicht?
Trauma – Verdrängung
Einer der Gründe für die Tendenz zur Verdrängung unserer Traumata ist die dissoziative Amnesie: Viele Menschen haben nur bruchstückhafte oder diffuse Erinnerungen an ihre Kindheit. Manche haben viele Jahre komplett ausgeblendet. Ein Kind hat oft keine andere Wahl, als schmerzliche Erlebnisse ins Unterbewusste zu verdrängen. Diese Erinnerungen bleiben ihm dann verborgen. Es nutzt diesen Schutzmechanismus, wenn ihm die Fähigkeit zur emotionalen Verarbeitung fehlt. Betroffene beginnen sich im Heilungsprozess wieder zu erinnern, wenn ihr System erkennt, dass sie nun dazu in der Lage sind, diese Erlebnisse anzuschauen, zu verarbeiten und loszulassen.
Ein weiter Grund für die Verdrängung von Traumata ist das Fehlen von Vergleichswerten. Wenn wir in schwierigen familiären Verhältnissen groß geworden sind wissen wir nicht, wie sich ein gesundes soziales Umfeld für ein Kind anfühlt. Wir kennen nur das, was wir erlebt haben und was uns vorgelebt und beigebracht wurde. Wenn wir heranwachsen und uns nicht mit unserer mentalen und emotionalen Gesundheit auseinandersetzen, dann bleibt uns all das lange verborgen. Eine dysfunktionale Beziehung oder die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung ändern daran auch nicht unbedingt etwas.
Das Stockholm Syndrom kann ebenfalls ein Grund für die Verdrängung von Entwicklungstraumata sein: Kinder, die in einem schwierigen sozialen Umfeld aufwachsen dissoziieren und verdrehen die Realität, um Angst zu vermeiden und zu überleben. Ursache kann eine Gedankenabfolge, wie diese sein: “Meine Mutter ist schlecht zu mir. Ich brauche meine Mutter, um zu überleben. Ich kann nicht überleben, wenn meine Mutter schlecht ist. Ich habe keine andere Mutter. Meine Mutter ist gut.” Das Stockholm Syndrom ist ein psychologisches Phänomen, bei dem das Opfer mit dem Täter sympathisiert und ihm Zuneigung entgegenbringt. Diese ungesunde Art der Bindung findet man nicht nur zwischen Eltern und Kind, sondern auch in erwachsenen intimen Beziehungen mit starkem Machtgefälle.
Auch in der Kindheit internalisierte Gesetze können verhindern, dass wir unsere Traumata erkennen. Das sind vielleicht verinnerlichte Regeln, wie “Ehre deine Eltern.”, “Stelle keine Fragen.” oder “Ein gutes Kind tut, was man ihm sagt.”. Schamgefühle, Angst vor Kontrollverlust, soziale Ängste, Schuldgefühle unseren Kindern gegenüber und fehlendes Mitgefühl mit uns selbst und anderen können ebenfalls eine Rolle spielen.
Es gibt sicher noch andere Gründe dafür, warum viele Menschen Kindheitstraumata nicht sehen können oder wollen. Sie sind nachvollziehbar, denn es geht schließlich um das Aufstossen einer Tür ins Ungewisse, was zunächst ziemlich weh tun kann. Es erfordert Mut, eine gewisse mentale Kapazität, Willenskraft, Geduld und die Demut sich an bestimmten Punkten im Heilungsprozess Hilfe zu holen.
Die tiefste unbewusste Sehnsucht vieler dieser Menschen ist Selbstakzeptanz (“Ich darf ich sein.”).
Sie ist eine unabdingbare Voraussetzung für ein glückliches Leben. Aus dem zu dir selbst stehen (statt dich passend zu machen) wächst ein Gefühl von Sicherheit und innerem Frieden. Erst dann bist du fähig zu lieben und hast Vertrauen in deine eigene Intuition. Selbstakzeptanz macht den Weg frei für mehr Lebensfreude und Lebendigkeit. Wenn sich dein verzerrtes Selbstbild auflöst wird Raum für dein natürliches authentisches Sein. Dann gelingt dir auch die sichere Bindung zu anderen Menschen.
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