Bindung und Sucht
Unsichere Bindungsmuster und Suchtverhalten haben die selbe Wurzel. Sie sind das Resultat der Selbstentfremdung eines Menschen durch verdrängte, nicht verarbeitete Entwicklungstraumata.
Wenn ein Kind sich häufig in Situationen wiederfindet, in denen es sich zwischen zwei Grundbedürfnissen, dem Bedürfnis nach Liebe und Verbundenheit und dem Bedürfnis nach Authentizität entscheiden muss entwickelt es Ängste im Beziehungskontext. Wenn es in seinem Separations- und Individuationsprozeß von Bezugspersonen oft frustriert wurde, dann beginnt es Nähe-Distanz-Probleme zu entwickeln, die sich später in den erwachsenen intimen Beziehungen zeigen.
Wenn ein Mensch eine verzerrte Wahrnehmung seiner Grenzen hat und nicht weiß, wo er endet und wo sein Gegenüber beginnt, bleibt er in seiner kindlich egozentrischen Weltsicht stecken. Er glaubt, dass alles was um ihn herum geschieht, etwas mit ihm zu tun hat. Die Welt wird für ihn zu einem unberechenbaren, gefährlichen Ort.
Bindung und Sucht – Definition
Sucht ist ein komplexer Prozess, der Hirnabläufe, körperliche Reaktionen, Gefühle und soziale Strukturen eines Menschen involviert. Es zeigt sich in konkreten Merkmalen: Der Betroffene hat das starke Verlangen nach etwas, was vorübergehend erleichtert und entspannt, langfristig aber negative Konsequenzen hat. Dennoch ist er nicht dazu in der Lage sein Verhalten abzustellen.
Sucht kann Substanz bezogen sein (Alkohol, Tabak, Heroin, Kokain etc.), oft ist es aber auch eine Handlung (Sex, Spielsucht, Essen, Arbeit, Extremsport, Internet usw.) oder sie involviert eine andere Person. Bei letzterem entsteht die Abhängigkeit durch die Wirkung von Intermittierender Verstärkung.
Bindung und Sucht – Ursache
Der kanadische Trauma-Therapeut und Suchtexperte Dr. Gabor Mate sagt: “Die Droge selbst ist nicht das Problem. Sie ist das Mittel, das ein Mensch nutzt, um seinem süchtigen Verstand für eine Weile zu entrinnen. ”
Wie ist das gemeint? Was macht einen Menschen für die Entwicklung von Suchtverhalten anfällig? Der zugrunde liegende Faktor ist eine Form von Entwicklungstrauma. Es gab in der Kindheit einen schmerzlichen emotionalen Verlust. Im Falle schwerwiegender Süchte findet man tatsächlich in der Regel massive kindliche Traumata, wie körperliche Gewalt, emotionalen oder körperlichen Missbrauch, das Suchtverhalten oder die psychische Erkrankung eines Elternteils. Derartige kindliche Erfahrungen erhöhen das Risiko später im Leben Süchte zu entwickeln enorm.
Doch Entwicklungstraumata beschränken sich nicht auf schlimme einschneidende Erlebnisse. Viel öfter ist es das Fehlen von Erfahrungen, die für die gesunde Entwicklung eines Kindes unabdingbar sind. Wenn die Grundbedürfnisse eines Kindes nach liebevoller Zuwendung und Unterstützung nicht befriedigt werden beeinträchtigt das die Hirnentwicklung. Die Potenziale sind genetisch angelegt. Welche Gene aber aktiviert werden und welche nicht hängt stark von der Umgebung ab, in der ein Kind heranwächst.
Im Fall von Sucht ist das Belohnungssystem unterentwickelt, also die Kreisläufe, die mit dem Botenstoff Dopamin zu tun haben und anspornend und motivierend wirken. Verknüpfungen rund um das Belohnungssystem entwickeln sich nur dann gut, wenn das soziale Umfeld diese eine essenzielle Qualität bietet:
Es bedarf einer Bezugsperson, die aufmerksam, ruhig und empathisch auf das Kind eingeht und Gegenseitigkeit vorlebt.
Ein sensibles Kind leidet ganz besonders darunter, wenn Eltern aufgrund ihrer eigenen Begrenzungen emotional abwesend und unerreichbar sind. Das schadet nicht nur seiner Hirnentwicklung. Das Kind sieht sich dazu gezwungen anderweitig nach Belohnungsmöglichkeiten zu suchen.
Bindung und Sucht – Hintergründe
Sucht dient dem Zweck Schmerz zu dämpfen bzw. wahrgenommenem Stress zu entfliehen. Egal ob wir Sucht von einem psychischen Blickwinkel betrachten (dem Bedürfnis vor Schmerz und Stress zu flüchten) oder aus einem hirnphysiologischen Blickwinkel (dem unterentwickelten Belohnungssystem) – wir sehen in beiden Fällen den starken Einfluss der frühkindlichen Prägung durch das individuelle Umfeld.
Bindung und Sucht – Krankheit
Ist Sucht eine Krankheit, eine Bewältigungsstrategie oder beides?
Aus konventionell medizinischer Sicht hat Suchtverhalten Krankheitsmerkmale: Dysfunktionale Hirnabläufe sind tatsächlich messbar. Außerdem führt Sucht zu bestimmten pathologischen Symptomen und es besteht eine starke Rückfallgefahr.
Dennoch wäre es falsch Sucht auf dieses enge, oberflächliche medizinische Modell zu reduzieren. Leider entspricht das aber der allgemeinen Neigung, sich in der modernen Medizin mit Diagnosen und der Therapie von Symptomen zufrieden zu geben.
Man gibt einem Symptom einen Namen und nennt es Krankheit. Dabei handelt es sich oft, so wie bei der Sucht, genau genommen um die Manifestation (den Endpunkt) eines jahrelangen Prozesses, der durch bestimmte Verhaltens-, Denk- und Gefühlsmuster am Laufen gehalten wurde. Verstehen können wir ihn nur durch die Betrachtung der Hintergründe.
Wenn wir Sucht als körperliche Erkrankung betrachten erkennen den Einfluss der individuellen Lebenserfahrungen eines Betroffenen nicht an. Sucht ist ein Bewältigungsversuch und nicht die Wurzel der Problematik.
Bindung und Sucht
Der süchtige Mensch ist in sich selbst verunsichert und entzweit. Er hat sich selbst verloren.
Ein Kind ist bei der Geburt und noch lange Zeit danach völlig hilflos. Es ist existenziell auf seine Bezugspersonen angewiesen. Wenn ein Konflikt zwischen seinem Bedürfnis nach Verbundenheit und dem Bedürfnis nach authentischem Sein entsteht, dann wird es letzteres aufgeben. Es wird sich selbst verlassen. Das ist der Beginn aller Angst besetzten unsicheren Bindungsmuster, die dazu führen, dass weiterer emotionaler Schmerz angehäuft wird.
Die Selbstentfremdung wächst im Laufe der Jahre aufgrund der Anpassungs- und Bewältigungsversuche immer mehr. Schamgefühle verstärken das Gefühl der Isolation und Selbstablehnung. Und je stärker das Leid, desto vehementer der Wunsch ihm irgendwie zu entfliehen. Der Konsum einer Droge ist der einzige schnelle Weg aus dem Schmerz – wenn er auch nur für kurze Momente Linderung verschafft.
Der Preis, den ein Mensch langfristig für seine Sucht – egal wie sie auch aussehen mag – bezahlt ist hoch. Ihr den Boden zu nehmen ist mit etwas innerer Arbeit verbunden. Doch wer sie in Kauf nimmt ist damit nicht nur sein Suchtverhalten los. Ihm wird eine Welt zugänglich, die er bisher noch kannte: Denn wenn er sich mit sich selbst und anderen Menschen wohl zu fühlen beginnt, dann lernt er den Moment schätzen und geniessen. Nichts treibt ihn mehr zur Flucht.
Das unwiderstehliche Verlangen nach einer Substanz, einer Person oder einer Handlung ist nicht das Problem. Es ist der verzweifelte Versuch, ein Problem zu lösen.
Hier findest du weitere Infos zu einem dem Suchtverhalten oft zugrunde liegenden Bindungsmuster: Bindungsangst
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