Enmeshment Trauma
Inhaltsübersicht
Enmeshment Trauma / Definition
Enmeshment Trauma (Verstrickungs-Trauma) ist eine weit verbreitete Form von Entwicklungstrauma, das als Folge der elterlichen Mißachtung der Grenzen des Kindes und des Verlusts seiner Autonomie entsteht. Das Kind wird von einem Elternteil (unbewusst) als Verlängerung der eigenen Person empfunden und entsprechend behandelt. In einem Familiensystem, das auf emotionaler Macht und Kontrolle beruht macht das Kind frühzeitig die Erfahrung, dass es für die Gefühle seiner Eltern Verantwortung trägt.
Der Separations- und Individuations-Prozess, der für die Entwicklung eines stabilen Wesenskerns mit klaren Grenzen so wichtig ist, kann nicht gesund durchlaufen und abgeschlossen werden. Später wird ein solches Kind zwangsläufig chronische Beziehungsprobleme haben. Es wird sich an einen Partner anpassen, vermeidende Muster entwickeln bzw. je nach Beziehungskonstellation zwischen Über-Anpassung und rebellischer Vermeidung als Bewältigungsstrategie hin und her pendeln.
Enmeshment Trauma / Hintergründe
Enmeshment Trauma verhindert die Entwicklung eine klaren Selbstgefühls, das wir brauchen, um stabile, glückliche Beziehungen führen zu können. Ein paar Beispiele zur Entstehung:
1) Ein Kleinkind wird von der Mutter in seinen Hochstuhl gesetzt. Sie akzeptiert nicht, dass ihr Kind keinen Hunger hat und schaufelt ihm dennoch das Essen in den Mund.
2) Ein Vater träumt von Status und Anerkennung. Er sucht in seiner Tochter einen Stellvertreter dafür und drängt sie dazu Ärztin zu werden. Sie tut, was er von ihr erwartet, obwohl sie selbst ganz andere Ambitionen hat.
3) Eine Frau hat einen emotional nicht erreichbaren Mann. Sie ist emotional ausgehungert und macht ihren Sohn zum Ersatzpartner und zur emotionalen Stütze, indem sie ihm alle ihre Geheimnisse anvertraut und ihn zu ihrem besten Freund erklärt.
Man könnte viele andere Beispiele finden, aber alle haben eine Gemeinsamkeit:
Dem Kind wird vermittelt, dass es für die Gefühle anderer Menschen Verantwortung trägt. In der Familiendynamik wird Autonomie bestraft. Das Kind wird nicht als Individuum gesehen, was die Entwicklung gesunder Grenzen unterminiert, die einen Menschen mit seinen persönlichen Gefühlen, Wünschen, Werten, Präferenzen und Bedürfnissen definieren.
Enmeshment Trauma führt zu durchlässigen, nicht differenzierten und diffusen Grenzen:
Wenn du in einem solchen Familienverband für deine Bedürfnisse eintreten möchtest hat das Konsequenzen. Du wirst vielleicht bestraft, zumindest aber vernachlässigt, abgelehnt oder ausgegrenzt. Wenn du dich nicht fügst und aufgibst wirst du abgewiesen. Der „Lohn“ einer verstrickten Beziehungen ist das Gefühl von Zugehörigkeit.
Die meisten Kinder passen sich an derartige Bedingungen an, weil sie den Verlust von Nähe und Zuwendung nicht riskieren wollen. Wenn Kinder vorrangig den Bedürfnissen ihrer Eltern gerecht werden müssen können sie aber kein stabiles Ich entwickeln. Sie werden später in ihren Beziehungen oft gegen sich selbst kämpfen und sich an ihre jeweiligen Partner anpassen. Im günstigsten Fall geraten sie an relativ gesunde Partner. Dann entwickeln sie im Laufe der Zeit lediglich Frust und inneren Groll. Im ungünstigsten Fall geraten sie an Partner, die genau das von ihnen erwarten: ihre völlige Selbstaufgabe.
Die Beziehungen Betroffener haben ein Verfallsdatum, solange sie ihre co-abhängigen Verhaltensmuster nicht abgelegt haben.
Wenn du dich in deinen erwachsenen Beziehungen verlierst, dann schau dir deine Kindheit an. du hast gelernt dich anzupassen, um dich sicher fühlen zu können.
Enmeshment Trauma / Erziehung
Leider glauben viele Eltern immernoch, dass ihr Kind eine Art Roh-Substanz ist, das sie besitzen. Sie glauben, dass ihre Aufgabe nun darin besteht, das Kind nach ihren Vorstellungen zu formen. Aber unbewußt versteckt sich dahinter nicht selten die Befriedigung eigener Bedürfnisse.
Das kann beim Lesen durchaus einen Widerstand erzeugen, aber vielleicht hilft dir diese Betrachtung: Für mein Kind kann meine Aussage „Alles, was ich tue ist in deinem Interesse.“ leicht zum Akt des Gaslightings werden, wenn es das, was ich tue als schmerhaft empfindet. Ich verunsichere das Kind in seiner Wahrnehmung, wenn es hört, dass etwas zu seinem Besten ist, obwohl es sich nicht gut anfühlt.
Enmeshment Trauma führt zu den Glaubensmustern „Liebe ist schmerzhaft.“ und „Liebe erfordert Selbstaufgabe.“
Das gesunde Durchlaufen der kindlichen Separations- und Individuationsphase entscheidet über die spätere Beziehungsfähigkeit. In der Trotz-Phase versucht das Kind Grenzen abzustecken und herauszufinden, was es mag und was nicht. Wenn ein Elternteil das nicht erkennt, wenn er nicht dazu in der Lage ist das Kind zu spiegeln und mit dem Prozess der Individuation zu arbeiten, dann wird es wahrscheinlich seine Autonomiebestrebungen opfern.
Das Kind braucht die Nähe zu seiner Familie und kann sie nicht opfern. Es riskiert gefühlt sein Überleben, wenn es die Eltern gegen sich aufbringt. Die meisten Kinder geben sich an dieser Stelle um der Sicherheit Willen selbst auf. Später werden sie sich in ihren Beziehungen verlieren. Nicht nur weil sie es gelernt haben sich anzupassen, sondern auch weil sie ihr fehlendes Ich unbewußt im Partner suchen.
Enmeshment Trauma / Folgen
Wenn du keinen stabilen Wesenskern mit klaren Grenzen entwickeln konntest, dann passiert in deinen erwachsenen Beziehungen folgendes:
Du bist nicht authentisch und paßt dich an die Individualität deines Partners an. Vielleicht vermittelst du ihm den Eindruck, dass du Ausflüge mit dem Motorrad liebst. Dein innerer Groll darüber wird aber wachsen. Er ist das Resultat dessen, dass du dich unwohl fühlst, wenn du bei strahlendem Sonnenschein Stunden lang bewegungslos in einer Lederkluft steckst, während du auf den Rücken deines Partners starrst. Irgendwann konfrontierst du deinen Partner mit dem Satz „Ich hab alles für dich und deine Leidenschaft aufgegeben.“, vergißt aber dabei, dass du ihm vermittelt hast, dass es okay für dich ist. Du hast all das getan, obwohl er dich nicht darum gebeten hat.
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass du irgendwann an einen narzisstischen Partner gerätst, der tatsächlich von dir erwartet, dass du SEIN Leben lebst und dich komplett anpaßt. In einer solchen toxischen Beziehung wirst du an deine Schmerzgrenze kommen. Die gute Nachricht ist, dass das oft dazu führt, dass du dir deiner Muster bewußt wirst. Jetzt wirst du motiviert sein sie zu ändern.
Enmeshment Trauma / Co-Abhängigkeit
Viele Menschen mit Enmeshment Trauma entwickeln einen co-abhängigen Beziehungsstil. Sie lehnen sich selbst ab. Bewußt sehnen sie sich nach Verschmelzung mit einem Partner. Unbewußt boykottieren aber ihre Schatten-Aspekte, die unabhängig und autonom sein wollen ihre Beziehungen. Sie sorgen dafür, dass sich ein Partner abgelehnt fühlt. Sie sind gefangen zwischen den Bedürfnissen anderer und ihren eigenen. Ihre Sehnsucht nach Intimität bleibt unerfüllt, weil sie sich gleichzeitig von ihr bedroht fühlen. Daraus entsteht eine Kraft raubende „Push and Pull“ – Dynamik.
Verändern kannst du das nur in einem Prozess, denn wir du gesehen hast handelt es sich um ein Entwicklungsdefizit. Du kannst heute beginnen zu lernen, was du in der Kindheit unter guten Voraussetzungen gelernt hättest: Dich selbst in einer Beziehung nicht zu verlieren und dich dennoch verbunden fühlen.
Enmeshment Trauma / Heilung
Noch kannst du dich nur fühlen, wenn du mit dir allein bist. Und in einer Beziehung fühlst du dich nur, wenn du gegen deinen Partner ankämpfst. Das heißt, du brauchst den Konflikt, seinen Widerstand und den Streit, um dich und deine Grenzen zu spüren. Aber beides – Isolation und Rebellion – wird dich nicht glücklich machen. Tu also jetzt, was du in der Kindheit nicht konntest:
Entwickle ein gesundes Selbstgefühl und etabliere gute Grenzen. Greife weder zu co-abhängigen noch narzisstischen Beziehungsstrategien, wenn du mit anderen interagierst. Suche dir Menschen, die die Problematik verstehen und dich unterstützen wollen. Finde heraus, wer du bist, was du denkst, magst, ablehnst oder nicht tolerieren willst. Ziehe Konsequenzen, lerne effektiv zu kommunizieren und begegne bereitwillig deinen Ängsten.
Falle in diesem Prozess nicht ins andere Extrem und erkenne, dass andere Menschen – so wie du – eigene Präferenzen haben. Bisher hast du kein authentisches Leben geführt und in einer Beziehung hatte für dich bisher immer nur eine Person eine Existenzberechtigung. Nun lernst du, dass es in einer Beziehung 2 Menschen gibt, die die Wünsche und Bedürfnisse des anderen genauso ernst nehmen, wie die eigenen.
Gute Entscheidungen kannst du nur dann treffen, wenn du dich selbst gut kennst. Die Partner, die du bisher gewählt hast waren nicht kompatibel. Du hast dir selbst und deinem Gegenüber damit unbewußt Schaden zugefügt. Nun braucht es etwas Zeit und Geduld, dich und dein authentisches Selbst ans Licht zu holen. Die gute Nachricht: Alles, wonach du bisher vergeblich gesucht hast wird so erreichbar für dich.
Wenn du im Heilungsprozess Unterstützung brauchst begleite ich dich gern.
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