Narzissmus & Shared Fantasie
Inhaltsübersicht
Narzissmus & Prägung
Pathologische Narzissten sind das traurige Ergebnis massiver Bindungs- und Entwicklungstraumata.
Dabei können Mißbrauch und Vernachlässigung viele Gesichter haben.
Leider herrscht auch heute noch Unwissenheit darüber, wie elterliche Verhaltensweisen das gesunde emotionale Wachstum eines Kindes beeinträchtigen können.
→ Instrumentalisierung, Idealisierung, Überbehütung, Vereinnahmung, Gaslighting und Parentifizierung schaden langfristig der kindlichen Psyche.
Studien legen folgendes nahe:
Ein Kind, das später zu einem pathologischen Narzissten heranwächst sieht sich oft mit gegensätzlichen elterlichen Botschaften konfrontiert.
Es ist in einem Haushalt mit einem emotional abwesenden, cholerischen Vater und einer anspruchsvollen, kontrollbedürftigen Mutter aufgewachsen.
→ Die Mutter hat ihr Kind zum Partnerersatz und zur emotionalen Stütze gemacht („Du bist ein Engel.“).
→ Das Kind hat unter den Ausbrüchen des reizbaren Vaters gelitten. Er hat ihm direkt oder subtil seinen Wert aberkannt („Du bist ein Nichtsnutz.“).
Verständlicherweise hat es sich lieber an die Botschaften seiner kontrollbedürftigen Mutter geklammert.
Mit der Überbehütung des Kindes versucht sich diese Mutter unbewußt selbst zu beruhigen. Denn im Stillen plagt sie ihr schlechtes Gewissen, weil sie ihrem Kind einen solchen Vater dauerhaft zugemutet hat. Und so versucht sie einen Ausgleich zum harschen Verhalten des Vaters zu schaffen.
Die Liebe dieser Mutter fühlt sich für das Kind nicht gut an. Es spürt den Druck und die Unfreiheit, die diese Liebe mit sich bringt.
Narzissmus & Trauer
Ein Kind, das später ein pathologischer Narzisst wird entscheidet sich unbewusst für eine ausgesprochen kreative Abwehrstrategie:
→ Es flüchtet in eine Fantasiewelt und sucht Trost bei einem allmächtigen perfekten Freund, der all das ist, was das Kind glaubt nicht zu sein.
Doch der Fakt, dass es dafür anderen Menschen und der Realität den Rücken zukehren muß versetzt es in einen chronischen Trauerzustand. Es trauert um sein verloren gegangenes Potenzial.
Im DSM Ausgabe5 wird erklärt, dass pathologischer Narzissmus einer Major Depression ähnelt.
Im Laufe der Zeit identifiziert sich das Kind mehr und mehr mit diesem Konstrukt seiner Fantasie:
→ Sein erfundenes Selbst wird zum Puffer zwischen dem sich gerade erst entwickelnden Ich und der realen Welt.
Dieses falsche Selbst verhindert, dass sich das erst entwickelnde wahre Ich weiter an der Realität reiben kann, sodass es verkümmert und funktionsunfähig bleibt.
Mit der Außenwelt interagiert nun nur noch das falsche Konstrukt. Es übernimmt mit der Zeit alle Ich-Funktionen mit folgendem Ergebnis:
→ Der pathologische Narzisst präsentiert seiner Umwelt eine Fassade der Unverletzlichkeit und Souveränität, während tief im Inneren ein traumatisiertes, verwundetes, verängstigtes und trauerndes Kind haust, das sich wertlos, inadequat und unterlegen fühlt.
Pathologischer Narzissmus ist also ein kompensatorischer Zustand, der diese innere Welt verbirgt.
Narzissmus & Shared Fantasie
(Konzept nach Prof. Sam Vaknin / Autor des Buches „Malignant Selflove – Narcissism revisited“)
„Misery seeks company.“:
Um seine elende Situation erträglich zu machen braucht der pathologische Narzisst einen Partner, den er mit seiner Trauer infizieren kann .
Einen Partner, der bereit dazu ist sich seinem Schmerz, seiner Wut und seiner negativen Affektivität auszusetzen.
Diese toxische Umgebung vergiftet ihn und das Gift vereinnahmt mit der Zeit jede Zelle seines Körpers. Dieser Atmosphäre ausgesetzt zu sein ist in sich selbst traumatisierend.
D.h. als Partner eines pathologischen Narzissten wirst du durch seine chronische Trauer traumatisiert.
Nur wenn du selbst schon einmal in einer solchen Situation warst wirst du das nachfühlen können:
→ In der unmittelbaren Nähe eines Menschen zu leben, der in der frühen Kindheit negiert wurde und der zur Abwesenheit geworden ist schadet deiner Psyche enorm.
Du erleidest ein sekundäres Trauma (vicarious trauma).
Erkennen kannst du es an deiner zunehmenden emotionalen Dysregulation. Neben Dissoziation und unsicherem Bindungsverhalten ist sie ein Trauma Leitsymptom ist.
Wenn du viel Zeit mit einem pathologischen Narzissten verbringst färbt sein Schmerz auf dich ab. Er beeinflusst dich, unterdrückt dich und verzehrt deine Energie.
Du verlierst an Lebenskraft, glaubst zusammenzuschrumpfen und mit ihm zu sterben, denn er strahlt etwas totes aus, weil er von seinen Eltern zum Objekt gemacht wurde.
Und nun behandelt er sich selbst und alle anderen um ihn herum als leblose Objekte.
Wenn du unter diesem Dauerstress stehst löst das in dir Symptome einer kPTBS aus. Du wirst immer instabiler und erkennst dich selbst nicht mehr wieder.
Er kontrolliert und unterwirft dich auf diese Weise, weil ihn innere Prozesse dazu zwingen sein Trauma und die Vergangenheit wieder aufzuführen.
Ein pathologischer Narzisst hat sich vom Leben abgewandt, weil man sich in der Kindheit von ihm abgewandt hat.
Dieser Mensch hat die Ansichten seiner Bezugspersonen internalisiert und drangsaliert sich nun selbst. Er hat einen Wiederholungszwang entwickelt und versucht über ihn alte Konflikte zu lösen.
Seinen Partner braucht er als Mutterersatz, um seine Kindheit erneut durchzuspielen. Mit der Hilfe seines Partners kreiert er eine gemeinsame Fantasie, einen Trauma-Raum, der sehr differenzierte Elemente einer Mutter-Kind-Interaktion beinhaltet.
Zunächst gibt es in dieser Shared Fantasie eine ideale Mutter (den Partner) und ein ideales Kind (den Narzissten).
Am Anfang kommuniziert der Narzisst seinem Partner die kindlichen Aspekte seines Traumas:
→ Er verhält sich wie ein ideales liebenswertes Kind – mit der Erwartung, dass sein Partner sich bereitwillig wie eine ideale bedingungslos liebende Mutter verhält.
Er idealisiert seinen Partner und umgekehrt (Co-Idealisierung). Das ist die Ausgangssituation und die Bühne für eine Wiederaufführung dessen, was in der Kindheit zwischen ihm und seiner Mutter passiert ist.
Der Partner wurde als ein Ersatz angeheuert, um mit ihm diese Zeitreise in seine Kindheit zu machen. Deshalb muß er nun aber auch ein Duplikat seiner leiblichen Mutter werden.
Wenn du eine Beziehung mit einem pathologischen Narzissten hast oder hattest, dann erinnerst du dich vielleicht noch an den furchtbaren Moment, der sich wie ein Peitschenschlag angefühlt hat:
→ Das ist der Moment, in dem das reizende Kind einem kalten unzufriedenen Vater Platz gemacht hat.
Du konntest dir diesen abrupten Wandel nicht erklären, weil er einzig und allein mit den inneren Abläufen des Bühnenstücks, dem Trauma-Raum der Shared Fantasie zu tun hatte.
Die abrupten Rollenverschiebungen und Übergänge zum nächsten Akt ergeben für den Beobachter absolut keinen Sinn.
Narzissmus & Fantasie Phasen
Betrachten wir die einzelnen Phasen etwas genauer.
Phase1:
Der Narzisst schafft über Love Bombing und Grooming eine gemeinsame Fantasie (Shared Fantasie). Er lockt dich in diesen gemeinsamen Raum, setzt dich seiner Trauer und Depression aus und infiziert dich damit.
Jetzt seid ihr die zwei Säulen dieses Raums. In ihm bist du die Mutter und er das Kind. Solange du stark bist hat er Angst davor, dass du ihm das antust, was ihm seine leibliche Mutter angetan hat.
Er könnte von dir – so wie damals – abgelehnt, herabgesetzt, beschämt und verfolgt werden. Deshalb glaubt er dich entmachten zu müssen.
Er braucht dich in Form einer impotenten, machtlosen, symbolischen Mutter, damit er dieses mal sicher als Sieger hervorgehen kann. Und er muß sich von dir, der Mutterfigur trennen, weil ihm das bei seiner leiblichen Mutter nicht gelungen ist.
Dieses mal hat er andere Möglichkeiten und Ressourcen, um dich (seine Ersatz-Mutter) zu bezwingen.
Er setzt dich seinem eigenen Trauma und den Tiefen seiner dunklen Seele aus. Er mißbraucht dich, um dich zu brechen und zu deaktivieren. Beide Mechanismen arbeiten Hand in Hand.
Sie machen dich klein, sodass du kaum noch funktionierst und ihm nicht schaden kannst. Und da du über lange Zeit Schmerz, Angst und Unsicherheit erfährst regredierst du natürlich selbst zum Kind.
Das ist die unbeabsichtigte Konsequenz dessen.
Phase2:
In ihr kommt es zur Rollenumkehr. Der Narzisst übernimmt die Mutterrolle und du die des verängstigten Kindes (Dual Mothership Konzept nach Sam Vaknin).
Die Machtasymmetrie zwischen seiner Mutter und ihm ist korrigiert, wenn der Narzisst bemerkt, dass du ihm nichts mehr antun kannst.
Er hat ihr – über dich als Mutterersatz – seinen alten Schmerz zurückgezahlt.
Nach Otto Kernberg ist Narzissmus eine Form der Psychose.
→ Aufgrund seiner fragmentierten Psyche kann der pathologische Narzisst nicht zwischen Innen und Außen und zwischen Vergangenheit und Gegenwart unterscheiden.
Er tut dir als Partner das an, was er seiner Mutter antun wollte, sich aber nicht eingestehen konnte.
Erst wenn er sich Gerechtigkeit verschafft und das Machtgefälle korrigiert hat kann er sich entspannen, denn dann hat er seine Mutter dafür bestraft, was sie ihm angetan hat.
Jetzt kann er sich als Kind wieder sicher fühlen.
In seinem Kopf ist nun aus einer selbstbezogenen, übermächtigen Mutter eine Mutter geworden, die eine „sichere Basis“ ist, weil sie schwach ist und ihn nicht verletzen kann.
D.h. der Narzisst fühlt sich erst dann sicher, wenn er dich zerstört hat. Nur wenn es dir schlecht geht kann er sich gut mit dir fühlen.
Sein Glück hängt paradoxerweise von deinem Unglück ab. Er muß sein Bestes geben, um jeden Moment der Zufriedenheit und des Glücks, den du hast kaputt. zu machen.
→ Deine Unabhängigkeit, Autonomie und Kraft macht ihm Angst. Er braucht dich als unterwürfige Mutter, die keine Gefahr darstellt.
Phase3:
Jetzt wo du schwach und unterwürfig bist fühlt er sich sicher genug, wieder in die Rolle des Kindes zu schlüpfen.
Er drängt dich dazu wieder zur Mutter zu werden. Dieses Mal zur sicheren „toten“ Mutter, die er nun konfrontieren kann, um das ungelöste Thema der Separation von seiner leiblichen Mutter anzugehen.
Als Partner bist du ihr Avatar.
Sie hat seine Individuation nicht zugelassen und ihm nicht gestattet Grenzen zu entwickeln. Er konnte emotional nicht reifen und ist deshalb ein kleines Kind mit infantilen Abwehrmechanismen geblieben.
Der einzige Weg erwachsen zu werden ist die Separation von seiner Mutter. Die leibliche Mutter ist zu bedrohlich oder nicht mehr da.
DU lebst noch, aber als ein Häufchen Elend. Deshalb kannst du ihn nicht bestrafen, wenn er sich von dir trennt. Du bist damit beschäftigt deine Wunden zu versorgen.
Er hat dich in eine Lage gebracht, die ihm endlich das ermöglicht, was ihm seine Mutter verweigert hat: Die symbolische Lösung von ihr.
→ Je instabiler und schwächer du in diesem Moment bist desto kraftvoller kann er sich fühlen. Für eine Weile kann er glauben, erwachsen und zum Individuum geworden zu sein.
Bis sich seine Angst wieder vermehrt, denn der pathologische Narzisst hat wie der Borderliner neben der Angst vereinnahmt zu werden massive Trennungsangst.
Wenn er dich verläßt erlebt er diese Angst. Er löst das, indem er dich zurückholt (Hoovering) oder ersetzt.
Denn nach der Trennung von dir hat er ein Problem:
Er bekommt das Introject in seiner Psyche (die bildliche Representation von dir) nicht los.
Dieses innere Objekt raubt ihm viel Energie. Wenn er zu dir zurück kommt tut er es im Versuch, dieses innere Objekt mit der Realität zu versöhnen und die Objektkonstanz wieder herzustellen.
Narzissmus & Wiederholungszwang
Warum unterliegt der pathologische Narzisst einem Wiederholungszwang? Warum wird er den selben Kreislauf erneut durchlaufen?
Warum sucht er nach einer neuen Mutterfigur, wenn der Konflikt doch gelöst zu sein scheint?
Pathologischer Narzissmus ist eine Zwangsstörung, die sich selbst immer wieder verstärkt.
Das wahre Ich ist nicht entwickelt. Stattdessen hat ein Konstrukt die Kontrolle und alle Ich-Funktionen übernommen. Alle Nachholversuche der Individuation müssen allein deshalb schon ins Leere laufen.
Dazu kommt, dass der gesunde erfolgreich verlaufende Individuationsprozess des Kindes eine stabile in sich selbst ruhende Mutter voraussetzt.
Individuation ist kein Machtkampf, in dem es Über- und Unterlegene gibt.
→ Die Art und Weise, wie der pathologische Narzisst seinem Trauma entkommen und erwachsen werden will ist in sich selbst zutiefst gestört.
Narzissmus & Beziehungsunfähigkeit
Der pathologische Narzisst ist beziehungsunfähig. Wie alle Cluster B – Typen hat er eine „Als ob“-Persönlichkeit (eine Art Schwarm-Bewusstsein).
Ihm fehlt ein stabiler Wesenskern.
Ein klarer Wesenskern verbindet normalerweise Ereignisse der Vergangenheit mit Taten im Jetzt und Plänen für die Zukunft.
Wenn er fehlt können die Regeln einer gesunden Kommunikation im Umgang mit diesem Menschen auch nicht zu einem Ergebnis führen.
Das Ich definiert, wo ein Individuum endet und wo seine Umwelt beginnt. Im pathologisch narzisstischen Zustand wurden all diese Funktionen dem falschen Selbst überantwortet.
Der pathologische Narzisst entwickelt so falsche Erinnerungen und unrealistische Erwartungen. Diese Verzerrungen rechtfertigt er dann mit Hilfe seines Intellekts.
Kohärentes Verhalten ist ihm nicht möglich. Klärungsversuche mit einem pathologischen Narzissten laufen also aus mehreren Gründen ins Leere, denn ihm fehlt es an einem echten Referenzpunkt.
Dazu kommt seine Unfähigkeit sich einzufühlen und Augenhöhe mit einem Partner zuzulassen. Seine Diskontinuität und Abwesenheit führt zur Unfähigkeit aus Fehlern zu lernen.
Die eigenen Bedürfnisse nach körperlicher und emotionaler Zuwendung kann der pathologische Narzisst schwer tolerieren, denn auch sie gefährden sein grandioses falsches Selbst.
Er projiziert seine abhängigen, bedürftigen Aspekte deshalb unbewußt auf seinen oft stark co-abhängigen Partner, der sich bereitwillig dafür zu Verfügung stellt.
Narzissmus & Loslösung
Die Loslösung aus einem Trauma-Raum ist um ein vielfaches schwerer, als die Trennung und Lösung aus einer normalen Beziehung.
Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Eine davon ist, dass du als Betroffene(r) neben dem Schmerz über den Verlust deines Partners einige andere Dinge zu betrauern und zu verarbeiten hast:
→ Du trauerst um den Verlust einer gemeinsamen Fantasie – den idealisierten Partner und dein idealisiertes Selbst.
→ Du betrauerst den Verlust deiner Fähigkeit zu lieben und zu vertrauen und dass du es zugelassen hast, dass dir dieser Schaden zugefügt wurde.
→ Du trauerst um den Verlust eines verletzten kleinen Kindes, das du ins Herz geschlossen hattest und um keinen Preis aufgeben wolltest.
Jetzt stehst du vor der Aufgabe die Realität anzuerkennen, ohne zu verzweifeln.
Und du musst lernen Grenzen zu setzen, ohne bitter und aggressiv zu werden.
Du musst deine Anteile finden und aufarbeiten, ohne der Versuchung zu verfallen, wie besessen um dieses Thema zu kreisen.
Enge und Starre sind eine Trauma-Folge. Deshalb ist es so wichtig achtsam zu sein und zu erkennen, wenn du nach Beendigung dieser Beziehung starre Schlußfolgerungen für dich ziehst.
Mit Beschlüssen, wie „Ich lasse mich auf keine Beziehung mehr ein.“ oder „Ich werde keinem Menschen mehr vertrauen.“ fällst du der Vermeidung zum Opfer.
Mißtrauen und Feindseligkeit sind narzisstische Abwehrmechanismen. Mache dir das bitte unbedingt bewusst!
Sie würden dafür sprechen, dass der Mensch, der dich mißbraucht hat auf eine gewisse Weise immer noch in dir wohnt.
Höre gern auch mal in meine Gespräche zum Thema (Teil1 und Teil2) mit Claudia Bechert-Möckel vom Leben_Lieben_Lassen Podcast rein.
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