Selbstsabotage als Traumafolge
Für viele Menschen mit Bindungsverletzungen ist es frustrierend zu erleben, dass sie Fortschritte im Heilungsprozess und positive Dinge, die ihnen wiederfahren bewusst oder unbewusst sabotieren.
Es passiert ihnen nicht nur in Bezug auf ihre Beziehungen, sondern auch auf ihre Gesundheit.
Manche von ihnen berichten, dass sie sich selbst dabei beobachten, ohne es verhindern zu können. Doch beginnen wir mit einer Definition:
Inhaltsübersicht
Selbstsabotage als Traumafolge / Definition
Selbstsabotage ist die Folge komplexer Traumata. Wenn wir von Selbstsabotage sprechen meinen wir die absichtliche (bewusste) oder unbeabsichtigte (unbewusste) Zerstörung oder Beschädigung einer Sache, der wir einen hohen Wert zuordnen.
Mit anderen Worten:
Selbstsabotage ist eine Art mentaler Krieg zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein.
Wir glauben etwas unbedingt haben oder erreichen zu wollen, setzen mit unserem Verhalten aber alles daran, dass es sich nicht verwirklichen kann.
Der Hintergrund dessen: Unser Unterbewusstsein erkennt ein Sicherheitsrisiko, das es umgehen will und da es die größere Macht hat gewinnt es die Oberhand.
„Unser größter Feind ist der Selbstzweifel. Wir könnten außerordentliches in unserem Leben erreichen, doch oft sabotiert Angst unsere Möglichkeiten.“
Robin Shama
Selbstsabotage als Traumafolge / Beispiele
Beispiel1:
Jonas hat eine Reihe ungesunder Beziehungen hinter sich. Er arbeitet inzwischen an seinen unsicheren Bindungsmustern, hat die Hintergründe seiner Bindungsverletzungen und sich selbst besser kennengelernt.
Der Heilungsprozess geht voran und er fühlt sich mit sich selbst schon etwas sicherer und wohler. In dieser Phase begegnet er einer Frau, die psychisch recht gesund und stabil erscheint. Er lernt sie langsam besser kennen. Alles entwickelt sich harmonisch und offenbar gibt es viele Gemeinsamkeiten.
Auch die ersten Konflikte können mit Hilfe der neu erlernten Fähigkeiten gemeinsam gut gemeistert werden. Die Beziehung vertieft sich. Beide geben ihr Bestes und versuchen miteinander offen und ehrlich zu sein.
Irgendwann beginnt Jonas sich innerlich zurückzuziehen und ab und zu sagt er auch ziemlich verletzende Dinge. Er ist immer öfter telefonisch nicht erreichbar oder sagt ein Treffen unter Vorwänden kurzfristig ab.
Er beginnt die Beziehung zu sabotieren. Aber warum?
Beispiel2:
Michael hat seine langjährige Beziehung, aus der 2Kinder hervorgegangen sind aufgrund wiederholter Kontakte zu psychisch labilen Frauen in den Sand gesetzt. Seit er seine Sehnsucht nach Drama zu erkennen beginnt versucht er an sich zu arbeiten.
Er sieht jetzt, dass er nicht süchtig nach anderen Frauen sondern nach intensiven Gefühlen ist, weil er verinnerlicht hat, dass sich Liebe im Guten wie im Schlechten auf diese Weise zeigt.
Also widmet er sich seinen Themen, beliest sich und versucht bewusster mit sich selbst und seinen inneren Prozessen umzugehen.
Seine Ex-Frau sieht seine Bemühungen. Sie vertraut ihm nun wieder gern ihre gemeinsamen Kinder an, weil er sich mehr auf sie einlässt und sie nicht mehr mit ständig wechselnden Partnerinnen konfrontiert.
Seit sein Leben weniger chaotisch verläuft geht es für ihn auch beruflich aufwärts. Doch dann ereilt ihn der Impuls alte Freundinnen zu kontaktieren und an die guten Zeiten mit ihnen anzuknüpfen.
Er sabotiert das Gesunde, was gerade in seinem Leben zu wachsen beginnt. Warum?
Vielleicht beobachtest du an dir irgendein ähnliches Phänomen.
Selbstsabotage als Traumafolge / Gründe
Was könnten die motivierenden Kräfte hinter deiner Selbstsabotage sein? Sie sind vielschichtig, aber hier mal eine Auswahl:
→ Schuldgefühle:
Du hast dir nicht vergeben, was du anderen Menschen über die Jahre angetan hast und glaubst nicht, dass du ein gutes Leben verdient hast.
Stabil positive Entwicklungen bringen die Schuld nach oben. Sie bringt dich dazu dich selbst zu bestrafen.
→ Schamgefühle („Ich bin nicht okay.“):
Wenn dir Gutes wiederfährt rührt sich eine Stimme in dir die sagt: „Das steht mir nicht zu. Ich bin ein Betrüger.“ Da du dich selbst als Versager siehst fühlst du dich gezwungen, deine Lebensumstände dem anzugleichen.
→ Du hast in der Kindheit oft erlebt, dass in Momenten von Glück und Freude Katastrophen ausgebrochen sind:
Wenn dein Vater von Arbeit nach Hause kam brach er immer einen Streit vom Zaun. Das hat sich als ein Muster in deinem Leben etabliert:
„Wenn Dinge gut laufen bahnt sich gerade etwas schlechtes an.“ Unbewusst willst du es heute einfach „hinter dich bringen“ und hilfst deshalb nach.
→ Du hast einen Kreislauf der Gewalt verinnerlicht:
Deine Eltern haben sich oft mörderisch gestritten, um sich dann wieder zu versöhnen und super lieb miteinander zu sein. Sie haben sich nie mit der darunterliegenden Problematik beschäftigt. Das ist nun deine unterbewusste Definition von Beziehung.
Auch du unterdrückst in deiner Beziehung, was dich beschäftigt und was geklärt werden will. Wenn der innere Druck wächst und wirst du ausfällig, so wie du es von deinen Eltern vergelebt bekommen hast.
Streit und Stress wird mit guten Gefühlen und viel Oxytocin durch die Wiederversöhnung und körperliche Nähe belohnt.
Das ist das einzige Werkzeug, das du kennst, um Bindung herzustellen.
→ Du bist in einem Umfeld ohne Struktur und Vorhersehbarkeit groß geworden:
Deine Bezugspersonen waren unberechenbar im Verhalten und emotional labil. Ungelöste Probleme haben sich angehäuft. Das war dein „normal“.
durch Harmonie, Ruhe und Struktur fühlst du dich in deinen erwachsenen Beziehungen unwohl, nahezu gestresst.
Du kannst damit nichts anfangen und mußt diese Ordnung durcheinanderbringen, um entspannen zu können.
→ Du trägst viel Wut in dir:
Vielleicht hat dich ein Mensch, den du liebst verletzt. Du bist wütend auf ihn und willst ihn bestrafen. Wenn du dein ganzes Leben auf den Kopf stellst wird ihm das sicher das Herz brechen:
„Ich verletze dich indem ich mein geordnetes Leben sabotiere.“
→ Du warst als Kind einer Atmosphäre ausgesetzt, die dir subtil vermittelt hat, dass Freude egoistisch ist:
Heute fühlt es sich wie eine Sünde an, wenn du etwas zu genießen beginnst, was dich dazu treibt dem irgendwie ein Ende zu setzen.
→ Du hast Angst davor, auf Gutes zu hoffen und dann enttäuscht zu werden:
Dein Vater war vielleicht emotional nicht für dich erreichbar und oft schlecht gelaunt.
Du hast versucht ihm zu gefallen und hast auf Besserung gehofft, aber dann war er doch wieder böse auf dich. Also hast du dich noch mehr angestrengt, aber du hattest nicht lange Erfolg.
Dieser Zyklus hat sich wiederholt. Irgendwann hast du aufgegeben, denn noch schlimmer als nicht gesehen zu werden war die Tatsache, dass deine Hoffnung darauf regelmäßig zerstört wurde.
Heute sabotierst du deine Beziehungen vielleicht genau aus diesem Grund:
„Lass dir deine Hoffnung nicht zerstören.“
→ Du hast Angst davor verletzt zu werden:
Wenn sich deine Beziehung gut entwickelt läufst du Gefahr dich mehr und mehr emotional zu binden.
Die stillschweigende Überzeugung: „Eines Tages wird mich mein Partner verletzen.“ treibt dich dazu dem zuvorzukommen.
Denn lieber verletzt du dich selbst.
→ Du hast Angst zu versagen:
Obwohl du die Zeit mit deinem Partner genießt schleicht sich immer öfter der Gedanke ein, ihm in verschiedenen Bereichen nicht gewachsen zu sein.
Du glaubst, dass er dich verlassen wird, wenn er das bemerkt.
→ Du hast Angst vor Erfolg:
Das fühlt sich komisch an und ist unbekanntes Territorium.
Du weißt nicht, welche Konsequenzen das haben wird und so wird Erfolg für dich zum Stressfaktor. Also handelst du nach dem Motto:
„Lieber lebe ich in der bekannten Hölle als im unbekannten Paradies.“
→ Du hast Angst anderen zu vertrauen:
Du hast dir im Heilungsprozess Unterstützung gesucht, aber das triggert deine Angst vor Verletzung. Ohne Vertrauen zum Therapeuten geht es nicht und um nicht vertrauen zu müssen sabotierst du lieber dein Wachstum.
→ Du hast das Gefühl die Kontrolle zu verlieren:
Dein Heilungsprozess bringt jede Menge Veränderung mit sich.
Wenn du zu viel auf einmal willst überfordert es dich, weil es es dir den sicheren Boden nimmt. Du sabotierst um dein zwar schmerzhaftes, aber vertrautes Chaos wiederherzustellen.
→ Du willst nicht in unangenehmen Gefühlen verweilen:
Du hast verstanden, dass du dein Dating-Verhalten ändern mußt.
Wenn du wissen willst, ob ein potenzieller Partner ein gutes Match für dich ist brauchst du 6 bis 12Monate, um ihn kennenzulernen.
Dazu müsstest du die Unsicherheit der Beziehung über einen längeren Zeitraum tolerieren lernen. Und weil dich das extrem unruhig macht findest du einen Grund dich erneut übereilt zu binden.
→ Du übernimmst zu viel Verantwortung:
Wenn die eigenen Grenzen noch nicht gut entwickelt sind kann es sein, dass du motiviert durch deinen Veränderungsprozess zu viel auf dich lädst, weil du noch nicht nein sagen kannst.
Du rutschst dann vielleicht in die Überforderung, aber da du andere durch die Ablehnung der Erfüllung ihrer Wünsche nicht enttäuschen willst sabotierst du lieber wieder jegliche Verantwortung, um dich ausruhen zu können.
→ Du hast Schmerz unterbewusst positiv verknüpft:
Wenn etwas unangenehmes zum Dauerzustand wird, dann wird es zur Komfortzone.
Deine unterbewusste Überzeugung lautet vielleicht „Schmerz ist ein Zeichen von Liebe.“.
Auch das zwingt dich dazu, deine Beziehungen – ganz besonders die, die dir wichtig sind – zu boykotieren.
→ Du hast deine Gefühle so stark unterdrückt, dass du dich innerlich leer und leblos fühlst:
Nur Schmerz kann dich davon kurzfristig befreien. Also sucht dein Unterbewusstsein nach Beziehungskonstellationen, die für Schmerz sorgen.
Selbstsabotage als Traumafolge / Verhaltensmuster
Das DSM (Diagnostic Statistical Manual) enthielt früher eine Diagnose, die die Folgen komplexer Traumata ziemlich genau beschreibt – die „Selbstzerstörerische Persönlichkeitsstörung“.
Sie wurde interessanterweise wie folgt beschrieben:
„SPS ist ein Muster selbstzerstörerischer Verhaltensweisen, das in der Jugend beginnt und sich in verschiedenen Zusammenhängen zeigt:
Fehlendes Streben nach genussvollen Aktivitäten („Ich gestatte es mir nicht das Leben zu genießen.“)
Stellt sich anderen bereit um ausgenutzt zu werden
Alleiniger Fokus auf schlechte und unerwünschte persönliche Aspekte
Tendenz alles Gute im Leben zu sabotieren.“
Frage dich also bitte selbst einmal:
→ Entscheide ich mich für Menschen bzw. begebe ich mich in Situationen, die zu Enttäuschung und Schmerz führen, obwohl ich bessere Optionen habe?
→ Lehne ich die Versuche anderer mir zu helfen ab?
→ Antwortet mein System auf positive Erfahrungen und Erfolge mit depressiven Phasen, Schuld oder Verhaltensweisen, die zu Schmerz führen?
→ Reize ich oft andere bis zu dem Punkt, dass sie mich verletzen oder beschimpfen?
→ Lehne ich Möglichkeiten ab, um an sozialen Interaktionen Spaß zu haben und Freude empfinden zu können?
→ Lehne ich Menschen ab, die mich verläßlich gut behandeln? Verbanne ich gerade sie aus meinem Leben?
Selbstsabotage als Traumafolge / Heilung
Die Lösung von Selbstsabotage als Traumafolge ist ein Prozess, der deine emotionale Reifung betrifft.
Du kannst damit beginnen, dir deine typischen destruktiven Sabotage-Muster bewusst zu machen.
Sie dienen dir dann als Frühwarnsignal.
Wenn du dich ernsthaft mit den darunter liegenden Bedürfnissen und Ängsten auseinandersetzt kannst du es schaffen, ihnen Einhalt zu gebieten.
Sei wachsam und erkenne, wenn du in ein altes Verhaltensmuster rutschst, das dir schnelle Erleichterung bringt, aber langfristig Schaden zufügt.
Achte auf Rückfälle in selbstzerstörerische Verhaltensweisen, wie Perfektionismus, Selbstkritik, riskantes Verhalten, Suchtverhalten, emotionale Ausbrüche, Lügen, passive Aggression, Selbstmitleid etc.
Verurteile dich aber auch nicht für diese Tendenzen !! Hinterfrage sie einfach neugierig:
„Was will mich gerade dazu treiben? Welche unbefriedigten Bedürfnisse oder Ängste stecken dahinter?“
Decke die Lügen auf, die sich dahinter verbergen und habe Geduld mit dir.
Es ist ein gradueller Wachstumsprozess, auf den du dich einstellen musst. Du kannst deine Selbstsabotage loswerden, wenn du dich ihm stellst.
Wenn du Unterstützung brauchst kannst du hier ein Einschätzungsgespräch mit mir buchen.
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