Selbstsabotage als Traumafolge

Für viele Menschen mit Bindungsverletzungen ist es frustrierend zu erleben, dass sie Fortschritte im Heilungsprozess und gute Dinge, die ihnen wiederfahren bewusst oder unbewusst sabotieren.

Es passiert ihnen nicht nur in Bezug auf ihre Beziehungen, sondern auch auf ihre Gesundheit. Manche berichten, dass sie sich selbst dabei beobachten, ohne es verhindern zu können. Doch beginnen wir mit einer Definition:

Selbstsabotage als Traumafolge / Definition

Selbstsabotage  ist eine typische Folge komplexer Traumata. Wenn wir von Selbstsabotage sprechen meinen wir die absichtliche (bewußte) oder unbeabsichtigte (unbewußte) Zerstörung oder Beschädigung einer Sache, der wir einen hohen Wert zuordnen.  Mit anderen Worten:

Selbstsabotage ist eine Art mentaler Krieg zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein: Wir glauben etwas unbedingt haben oder erreichen zu wollen, setzen mit unserem Verhalten aber alles daran, dass es sich nicht verwirklichen kann. der Hintergrund: Unser Unterbewußtsein will ein Sicherheitsrisiko umgehen und da es die größere Macht hat gewinnt es die Oberhand.

„Unser größter Feind ist der Selbstzweifel. Wir können außerordentliches in unserem Leben erreichen, doch oft sabotiert Angst unsere Möglichkeiten.“ Robin Shama

Selbstsabotage als Traumafolge / Beispiele

Beispiel1: Ein Mensch mit einer Geschichte ungesunder Beziehungen arbeitet an seinen ungesunden Bindungsmustern, lernt die Hintergründe seiner Bindungsverletzungen und sich selbst besser kennen. Der Heilungsprozess geht voran und er fühlt sich mit sich schon etwas sicherer und wohler. In diese Phase hinein begegnet er einer Person, die psychisch recht gesund und stabil erscheint. Er lernt sie langsam besser kennen. Alles entwickelt sich harmonisch und offenbar gibt es viele Gemeinsamkeiten.

Auch die ersten Konflikte können mit Hilfe der neu erlernten Fähigkeiten gemeinsam gut gemeistert werden. Die Beziehung vertieft sich. Beide geben ihr Bestes miteinander authentisch zu sein. Plötzlich merkt dieser Mensch aber, wie er sich innerlich zurückzieht und ab und zu verletzende Dinge sagt. Manchmal ist er telefonisch einfach nicht erreichbar oder sagt ein Treffen unter Vorwänden kurzfristig ab. Er beginnt die Beziehung zu sabotieren. Aber warum?

Beispiel2: Ein Mensch, der seine langjährige Beziehung, aus der 2Kinder hervorgegangen sind aufgrund wiederholter Kontakte zu psychisch labilen Frauen mit histrionischen Zügen in den Sand gesetzt hat, beginnt seine Problematik zu erkennen und an ihr zu arbeiten. Er sieht jetzt, dass er nicht süchtig nach diesen Frauen sondern nach intensiven Gefühlen ist, da er unterbewusst verinnerlicht hat, dass sich Liebe im Guten wie im schlechten so manifestiert.

Also widmet er sich seinen Themen, beliest sich und versucht bewusster mit sich selbst und seinen inneren Prozessen umzugehen. Das Gute daran ist, dass seine Ex-Frau diese Bemühungen anerkennt und ihm die Kinder nun wieder gern anvertraut, weil er sich besser auf sie einlassen kann und nicht mehr mit ständig wechselnden Partnerinnen konfrontiert. Seit sein Leben weniger chaotisch verläuft geht es für ihn auch beruflich aufwärts. Doch dann ereilt ihn der Impuls „alte Freundinnen“ zu kontaktieren und an „gute Zeiten“ anzuknüpfen. Er sabotiert das Gesunde, was gerade in seinem Leben zu wachsen beginnt. Warum?

Selbstsabotage als Traumafolge / Gründe

Was könnten die motivierenden Kräfte hinter deiner Selbstsabotage als Traumafolge sein? Hier eine Auswahl:

1) Schuldgefühle: Du hast dir nicht vergeben, was du anderen Menschen über die Jahre angetan hast und glaubst nicht, dass du ein gutes Leben verdient hast. Stabil positive Entwicklungen bringen die Schuld nach oben. Sie bringt dich dazu dich selbst zu bestrafen.

2) Schamgefühle („Ich bin nicht okay.“): Wenn sich dir gutes wiederfährt rührt sich eine Stimme in dir die sagt: „Das bin ich nicht. Ich bin ein Betrüger.“ Da du dich selbst als  Versager siehst fühlst du dich gezwungen, deine Lebensumstände dem anzugleichen.

3) In der Kindheit hast du oft erlebt, dass in Momenten von Glück und Freude Katastrophen ausbrachen: Wenn dein Vater kam von Arbeit nach Hause kam brach er immer Streit vom Zaun. Und das hat sich als ein Muster in deinem Leben etabliert: „Wenn Dinge gut laufen, dann bahnt sich gerade etwas schlechtes an.“ Unbewusst willst du es heute einfach „hinter dich bringen“ und hilfst deshalb nach.

4) Du hast einen Kreislauf der Gewalt verinnerlicht: Deine Eltern haben sich mörderisch gestritten, um sich dann zu versöhnen und super lieb miteinander zu sein. Sie haben sich nie mit der darunterliegenden Problematik beschäftigt und das ist deine unterbewusste Definition von Beziehung.

Auch du unterdrückst in deiner Beziehung, was dich beschäftigt und was geklärt werden sollte. Der innere Druck wächst und du wirst ausfällig, so wie du es von deinen Eltern kennst. Streit und Stress wird mit schließlich mit guten Gefühlen durch Versöhnung und körperliche Nähe belohnt. Das ist das einzige Werkzeug, das du kennst, um mehr Nähe herzustellen.

5) Du bist in einem Umfeld ohne Struktur und Vorhersehbarkeit groß geworden: Deine Bezugspersonen waren inkonsistent im Verhalten und emotional dysreguliert. Ungelöste Probleme haben sich gehäuft. Das war dein „normal“. In deinen erwachsenen Beziehungen fühlst du dich durch Ruhe und Struktur gestresst. Du kannst damit nichts anfangen und mußt diese Ordnung durcheinanderbringen, um entspannen zu können.

6) Du trägst viel Wut in dir: Ein Mensch, den du liebst hat dich verletzt. Du bist wütend auf ihn und willst ihn bestrafen. Eine Möglichkeit siehst du darin, dein Leben auf den Kopf zu stellen. Das wird ihm sicher das Herz brechen: „Ich verletze dich indem ich mein geordnetes Leben sabotiere.“

7) Du warst als Kind einer Atmosphäre ausgesetzt, die dir subtil vermittelt hat, dass Freude egoistisch ist: Heute fühlt es sich wie eine Sünde an, wenn du etwas zu genießen beginnst, was dich dazu treibt dem ein Ende zu setzen.

8) Du hast Angst davor, auf Gutes zu hoffen und dann enttäuscht zu werden: Dein Vater war vielleicht emotional nicht für dich erreichbar und oft schlecht gelaunt. Du hast immer wieder versucht ihm zu gefallen und hast auf Besserung gehofft, aber dann war er wieder böse auf dich. Also hast du dich noch mehr angestrengt, aber du hattest nicht lange Erfolg.

Wenn sich dieser Zyklus wiederholt hat hast du irgendwann aufgegeben, denn noch schlimmer als nicht gesehen zu werden war die Tatsache, dass deine Hoffnung darauf regelmäßig zerstört wurde. Heute sabotierst du deine Beziehungen vielleicht genau aus diesem Grund: „Lass dir deine Hoffnung nicht zerstören.“

9) Du hast Angst davor verletzt zu werden: Deine Beziehung entwickelt sich gut, aber damit läufst du Gefahr dich mehr und mehr emotional zu binden. Die stillschweigende Überzeugung: „Eines Tages wird mein Partner mich verletzen.“ treibt dich dazu dem zuvorkommen zu wollen. Denn lieber verletzt du dich selbst.

10) Du hast Angst zu versagen: Du genießt die Zeit mit deinem Partner, aber immer öfter schleicht sich der Gedanke ein, ihm in verschiedenen Bereichen nicht gewachsen zu sein und glaubst, dass er dich verlassen wird, wenn er das bemerkt.

11) Du hast Angst vor Erfolg: Das fühlt sich komisch an und ist unbekanntes Territorium. Du weißt nicht, welche Konsequenzen das haben wird und so wird Erfolg für dich zum Stressor. Also handelst du nach dem Motto“Lieber lebe ich in der bekannten Hölle als im unbekannten Paradies.“

12) Du hast Angst anderen zu vertrauen: Du hast dir im Heilungsprozess Unterstützung gesucht, aber das triggert deine Angst vor Verletzung, denn es geht nicht ohne Vertrauen. Und um keinem vertrauen zu müssen sabotierst du also lieber dein Wachstum.

13) Du hast das Gefühl die Kontrolle zu verlieren: Dein Heilungsprozess bringt jede Menge Veränderung mit sich. Wenn du zu viel auf einmal willst überfordert es dich, weil es es dir gefühlt den sicheren Boden nimmt. Du sabotierst um dein normales Chaos wiederherzustellen.

14) Du willst nicht in unangenehmen Gefühlen verweilen: Du hast verstanden, dass du dein Dating-Verhalten ändern mußt. Wenn du wissen willst, ob ein potenzieller Partner ein wirklich gutes Match für dich ist brauchst du 6 bis 12Monate, um ihn kennenzulernen. Dazu müßtest du aber Unsicherheit über einen längeren Zeitraum tolerieren lernen. Weil dich das extrem unruhig macht findest du einen Grund das Ganze hinzuschmeißen.

15) Du übernimmst zu viel Verantwortung: Wenn die eigenen Grenzen noch nicht gut entwickelt sind kann es dazu kommen, dass du motiviert durch deinen Veränderungsprozess zu viel auf dich lädst, weil du nicht nein sagen kannst. Du rutschst dann vielleicht in die Überforderung, aber da du andere durch Ablehnung ihrer Wünsche nicht enttäuschen willst sabotierst du alle Verantwortung, um dich ausruhen zu können.

16) Du hast Schmerz unterbewusst positiv verknüpft: Wenn etwas unangenehmes zum Dauerzustand wird, dann wird es zur Komfortzone. Dine unterbewusste Überzeugung lautet vielleicht „Schmerz ist Liebe.“ Das zwingt dich dazu, deine Beziehungen – ganz besonders die, die dir wichtig sind – zu boykotieren.

17) Du hast deine Gefühle so stark unterdrückt, dass du dich innerlich leer und leblos fühlst: Nur Schmerz kann dich davon kurzfristig befreien.

Selbstsabotage als Traumafolge / Verhaltensmuster

Das DSM (Diagnostic Statistical Manual) enthielt früher eine Diagnose, die die Folgen komplexer Traumata ziemlich genau beschreibt – die „Selbstzerstörerische Persönlichkeitsstörung“. Sie wurde wie folgt beschrieben:

„SPS ist ein Muster selbstzerstörerischer Verhaltensweisen, das in der Jugend beginnt und sich in verschiedenen Zusammenhängen zeigt: Fehlendes Streben nach genussvollen Aktivitäten („Ich gestatte es mir nicht das Leben zu genießen.“) / Stellt sich anderen bereit ausgenutzt zu werden / Alleiniger Fokus auf alle schlechten persönlichen Aspekte / Tendenz alles Gute im Leben zu sabotieren.“

Frage dich selbst einmal:

1) Entscheidest du dich für Menschen bzw. begibst du dich in Situationen, die zu Enttäuschungen und Schmerz führen, selbst wenn du bessere Optionen hast?

2) Lehnst du die Versuche anderer dir zu helfen ab?

3) Antwortet dein System auf positive Erfahrungen und Erfolge mit depressiven Phasen, Schuld oder Verhaltensweisen, die zu Schmerz führen?

4) Reizt du oft andere bis zu dem Punkt, dass sie dich verletzen oder beschimpfen?

5) Lehnst du Möglichkeiten ab, um an sozialen Interaktionen Spaß zu haben und Freude empfinden zu können?

6) Lehnst du Menschen ab, die dich verläßlich gut behandeln? Verbannst du gerade sie aus deinem Leben?

Selbstsabotage als Traumafolge / Heilung

Die Lösung von Selbstsabotage als Traumafolge ist ein Prozess, der deine emotionale Reifung betrifft. Du kannst damit beginnen, dir deine typischen destruktiven Sabotage-Muster bewusst zu machen.

Sie dienen dir dann als Frühwarnsignal. Wenn du dich ernsthaft mit den darunter liegenden Bedürfnissen und Ängsten auseinandersetzt kannst du es schaffen, ihnen Einhalt zu gebieten.

Sei wachsam und erkenne, wenn du in ein altes Verhaltensmuster rutschst, das dir sofortige Erleichterung bringt, aber langfristig Schaden zufügt.

Achte auf Rückfälle in selbstzerstörerische Verhaltensweisen, wie Perfektionismus, Selbstkritik, riskantes Verhalten, Suchtverhalten, emotionale Ausbrüche, Lügen, passive Aggression, Selbstmitleid etc.

Verurteile dich aber auch nicht für diese Tendenzen. Hinterfrage sie einfach neugierig:

„Was will mich gerade dazu treiben? Welche unbefriedigten Bedürfnisse oder Ängste stecken dahinter?“ Konfrontiere die Lügen, die sich dahinter verbergen und habe Geduld mit dir. Es ist ein langsamer, gradueller Wachstumsprozess, auf den du dich einstellen musst. Du kannst deine Selbstsabotage aufgeben, wenn du dich ihm stellst.

Wenn du Unterstützung brauchst kannst du hier ein Einschätzungsgespräch mit mir buchen.