Zweifel an der Beziehung

Wenn du eine nicht so optimale Kindheit hattest und in deinem Bindungsverhalten unsicher bist neigst du wahrscheinlich dazu dich übereilt in eine Beziehung zu stürzen. Du nimmst dir nicht die nötige Zeit dein Gegenüber in Ruhe kennenzulernen. Unter Umständen bemerkst du erst dann, wenn du dich schon emotional auf diesen Menschen eingelassen hast, dass er gar nicht so recht zu dir und deinen Vorstellungen vom Leben paßt. Du entwickelst berechtigte Zweifel, aber deine Verlustangst hindert dich vielleicht daran Konsequenzen zu ziehen.

Deine Zweifel könnten auf der anderen Seite aber auch einzig und allein in dir begründet sein. Wenn erworbene Schutzstrategien sich darum kümmern, dass du nach einer kurzen, intensiven Kennenlernphase am Gegenüber viele Makel entdeckst, sodass deine Gefühle stark abflauen, dann wirst du die Beziehung ebenso in Frage stellen.

Zweifel an der Beziehung / Ursachen

Wenn es um Zweifel an der Beziehung geht stellen Klienten oft diese oder ähnliche Fragen:

„Wenn ich an meiner Beziehung zweifle, wie kann ich erkennen, ob die Ursache dafür eine ungeheilte Kindheitsverletzung ist?“

„Wie erkenne ich, ob meine negativen Gefühle auf einem altem Schmerz basieren oder tatsächlich in der aktuellen Situation begründet sind?“

„Wie finde ich heraus, ob negative Assoziationen in Bezug auf meinen Partner unterbewussten Deaktivierungsstrategien entspringen?“

„Wie unterscheide ich zwischen berechtigten Zweifeln an der Beziehung und negativen Gedanken in Bezug auf die Beziehung als Folge von Deaktivierungsstrategien?“

Um diese Fragen beantworten zu können musst du zuerst einmal verstehen, was genau passiert, wenn du zu einer Deaktivierungsstrategie greifst. Im Prinzip konstruiert dein Unterbewußtsein im Kopf eine Geschichte rund um eine dir nahestehende Person und bringt alten erlebten Schmerz aus Kindertagen mit ihr in Verbindung. Das könnten Gedankenmuster, wie „Er/sie interessiert sich nicht für mich.“ oder „Er/sie will mich kontrollieren.“ sein. Sie schaffen sofort ein Gefühl von Trennung und Distanz zwischen dir und dem in Gedanken kritisierten Gegenüber.

Ängstlich vermeidende und abweisend vermeidende Bindungstypen deaktivieren auf unterschiedliche Art und Weise. Während erstere mehr dazu neigen zwischen Aktivierung und Deaktivierung hin und her zu wechseln sieht man bei letzteren oft eine stetigere, dafür aber weniger extreme Form von Deaktivierung. Die Vehemenz und Dramatik der Deaktivierungsmaßnahmen ist natürlich auch davon abhängig, wieviel gespeicherter Schmerz in der jeweiligen Situation an die Oberfläche dringt.

Deaktivierung basiert auf Schmerz durch Angst und starke Verletztheit.

Ohne unsere unterbewusst gespeicherten Programme wäre die Zukunft nicht Angst besetzt. Wir würden ihr gefühlsmässig neutral gegenüberstehen.

Ich möchte zur Verdeutlichung eine Analogie nutzen: Wenn eine Mutter ihr Kind zum ersten mal ins Auto setzt, dann wird es nicht in Panik verfallen, weil es keine Angst machenden Konzepte über die Bedeutug des Auto fahrens in sich trägt. Es wird demzufolge den Akt des Auto fahrens auch nicht als bedrohlich empfinden. Erst wenn in ihm Programme entstehen und es aufgrund dieser Programme vergangene Erlebnisse in die Zukunft projiziert entsteht Angst und Misstrauen. Wenn es immer wieder hört, dass Autos gefährlich sind und seine Mutter vielleicht einen Unfall hatte, von dem sie oft erzählt, dann beginnt es die Angst, vielleicht in eine ähnliche Situationen zu geraten zu entwickeln.

Unbewusste Konditionierungen sind die Quelle unserer individuellen Ängste vor zukünftigen Geschehnissen.

Deaktivierung basiert also nicht auf der Angst vor Hingabe, der Angst vor Vereinnahmung, der Angst vor Kontrollverlust oder der Angst vor Nähe. Deaktivierung basiert auf den Wunden der Vergangenheit, die bisher nicht heilen konnten. Sie brauchen unsere Zuwendung, damit wir in Beziehung zu anderen Menschen treten können ohne immer wieder in Situationen zu geraten, in denen wir deaktivieren (uns schützen) müssen.

Im Gegensatz zu berechtigten Zweifeln an einer Beziehung z.B. durch Inkompatibilität sind Zweifel als Folge von Deaktivierung ein lösbares Problem: Wenn du dich zur Deaktivierung gezwungen siehst bist du durch ein aktuelles Ereigniss getriggert worden. Diese Triggersituation zieht dich in einen Strudel heftiger Gefühle. Vermeidende Bindungstypen beschreiben es oft als Gefühl „wie in einem Tunnel“ zu stecken.

Ein Film der negativen Dinge, die passieren könnten und im Zusammenhang mit dem Partner stehen, läuft dann automatisch ab, was massiven Schmerz erzeugt, der durch Kampf- , Flucht- oder Erstarrungsverhalten bewältigt werden muss. Durch den geschaffenen Abstand kehrt das Gefühl von Sicherheit zurück. Konkrete Verhaltensmuster im Zusammenhang mit Deaktivierung sind vielfältig:

Vielleicht schreist du den Partner an, stößt ihn körperlich weg, machst verletzende Bemerkungen, rennst davon o.ä.. Im Grunde basieren alle diese Deaktivierungsmuster auf einer alten Wunde, die gerade berührt wurde, was in dir Gedanken und Gefühle erzeugt, die Schmerz verursachen. Dein Verhalten ist dann ein Versuch, die Situation so zu verändern, dass du dich wieder besser (sicher) fühlen kannst.

Zweifel an der Beziehung & Deaktivierung

Frage dich in der jeweiligen Situation:

1) Fühle ich so, weil ich ein Bedürfnis habe, das nicht erfüllt wird, weil ich es nicht kommuniziert habe? Wenn ja, dann hast du dich eine Zeit davor schon nicht verbunden und verstanden gefühlt, was in dir Schmerz erzeugt hat. Er basiert auf Assoziationen mit vergangenen Erlebnissen. Du hast deinen Partner fälschlicherweise zur Quelle dieses Schmerzes erklärt und nicht erkannt, dass es ein Bedürfnis gibt, was von dir kommuniziert werden muss. Deshalb siehst du dich gezwungen, die Person, von der du glaubst, dass sie die Ursache deines Leidens ist wegzustossen, um dich zu schützen.

Zusammengefasst passiert auf unterbewusster Ebene also folgendes:

Du hast eine alte Wunde, die aktiviert wurde und ein Bedürfnis, was unbefriedigt ist. Das tut dir weh und du machst deinen Partner dafür verantwortlich, obwohl dieser Schmerz in Wirklichkeit auf das unbewusste Programm in dir zurückzuführen ist. Du betrachtest die Situation nicht objektiv und es ändert sich nichts, wenn du die vermutete (aber falsche) Quelle von dir weg stösst. Die alte Wunde bleibt.

2) Deaktiviere ich, weil es ein unbefriedigtes Bedürfnis gibt, weil ich es nicht kommuniziert habe? Wenn ja, dann frage dich, wie du ein Gespräch mit deinem Partner führen kannst, um daraus ein lösbares Problem zu machen. In dem Moment, wo du einen Weg findest, dir deine Bedürfnisse zu erfüllen, werden deine Deaktivierungsmaßnahmen überflüssig.

3) Fühle ich so, weil ich getriggert wurde oder ist mein Gefühl tatsächlich auf das aktuelle Ereignis zurückzuführen? Wenn du von deinem Partner respektlos behandelt wirst, dann fühlst du dich schlecht, ohne dass es eine alte Verletzung in diesem Kontext geben muß. Achte also auf die Intensität deiner Reaktion. An ihr erkennst du, ob es ein Trigger ist oder nicht. Wenn die Reaktion unproportional heftig im Vergleich zum Auslöser ausfällt, dann wird es sich wahrscheinlich um einen alten Schmerz handeln, der durch die aktuelle Situation an die Oberfläche gefördert wurde und dann wirst du dazu neigen, dich durch Deaktivierung vor deinem Gegenüber schützen zu wollen, obwohl die alte Wunde nach deiner Aufmerksamkeit und nach deiner Beachtung schreit.

Gewinne also zunächst einmal Klarheit. Mit Hilfe der ehrlichen Beantwortung dieser Fragen kannst du die Beziehungsdynamik zum positiven verändern.

Auf der einen Seite ist es wichtig, deine alten Wunden aufzuspüren und sie zu heilen, damit sich deine Reaktivität durch geringfügige Auslöser auflösen kann. Und auf der anderen (wenn negative Gefühle tatsächlich dem Verhalten des Partners zuzuschreiben sind) spielt die offene Kommunikation deiner Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche und Grenzen eine bedeutende Rolle. Nur so gibst du deinem Gegenüber überhaupt die Chance, sie zu berücksichtigen und nur dann kann eure Beziehung sich verbessern und das Gefühl von Verbundenheit zwischen euch wachsen.

Zweifel an der Beziehung berechtigt

Wenn du wiederholt auf deinen Partner zugehst, um ihm deine Bedürfnisse zu kommunizieren oder um konkrete Probleme zu lösen und das bei ihm auf Unwillen, Abwehr oder Ignoranz stösst, dann sind deine Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Beziehung gerechtfertigt und sogar angebracht. Desinteresse und Ignoranz  gehören zu den „Red Flags“ in einer Beziehung. Das Ganze kann toxische Formen annehmen, wenn du es zulässt.

Wenn unverhandelbare Grundsätze von deinem Gegenüber nicht ernst genommen werden, dann solltest du dich unbedingt fragen:

„Ist es diese Beziehung tatsächlich wert, daran festzuhalten? Ist sie es wert, Energie hinein zu investieren? Ist es die Hoffnung, dass sich die Situation irgendwann verbessert, an der ich festhalte?“

Bitte vergiß nicht, dass eine Beziehung nur gelingt, wenn beide Partner bereit sind, daran zu arbeiten und Probleme konstruktiv zu lösen. Beachte bitte, dass du dich selbst verletzt, wenn du die Nichtachtung deiner Werte und Grundsätze tolerierst. frage dich welchen Ängsten du damit aus dem weg gehen willst. Bedenke, dass dein Selbstwert langfristig darunter leidet. Frage dich brutal ehrlich, was dich davon abhält, der Tatsache, dass das nicht der richtige Partner für dich ist, ins Auge zu sehen.